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Ich bin verboten

Ich bin verboten

Titel: Ich bin verboten
Autoren: Anouk Markovits
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Volk zurückgegeben werden. Setzen Sie alle Hebel in Bewegung, die Herkunft des Jungen ausfindig zu machen … Wenn er Jude ist, müssen Sie ihn holen und seiner Familie zurückbringen.
    *
    Es kamen die langen Herbsttage, in denen der Hafer vor der Klinge wispert. Wie bei seinen vorangegangenen Besuchen ging der Jude zu den Gräbern, um zu beten. Anghel beobachtete ihn aus der Ferne, doch dieses Mal verschwand der Jude nicht, nachdem er seine Gebete gesprochen hatte, sondern kam aufs Feld hinausgelaufen. »Hallo! Hallo!«, rief er und hielt seinen breitkrempigen schwarzen Hut fest.
    Der Ruf lief wie eine Welle durch den Hafer.
    Die Feldarbeiter hielten in ihren schwingenden Mähbewegungen inne.
    »Hallo! Hallo!«
    Florina lief in ihren Holzpantinen ans Ufer hinab. Sie legte eine Hand auf Anghels Schulter und zog ihn zurück ins hohe Gras. Die Halme schlossen sich um die Frau und den Jungen.
    Die Hunde knurrten, als der Pferdekarren vor dem Tor anhielt, und als Zalman hinunterkletterte, sprangen sie am Zaun hoch. Eine Frau kam über den Hof, pfiff die Hunde aber nicht zurück. Zalman hob die Zügel wieder an, und das Pferd trottete weiter die Fahrspur entlang und über die abgebrochene Grenze davon.
    Auf dem Kutschbock befragte sich Zalman im uralten Singsang talmudischer Abhandlungen. »Ist es erlaubt, ein Kind Ungläubigen anzuvertrauen, wenn ungewiss ist, ob es jemals zurückgefordert wird? Laut Rabbi Oschri ist ein Kind, das nicht versteckt wird, dem sicheren Tod geweiht. Außerdem könnten die Eltern noch leben und ihn zurückfordern, oder die Ungläubigen könnten ihn in eine jüdische Institution bringen …
    Aber was ist – Gott bewahre! –, wenn das Kind begonnen hat, wie ein Goi zu leben?«
    Zalman zog die Zügel an und wendete den Karren. Wieder hielt er vor dem Hoftor.
    Die Hunde standen auf den Hinterbeinen, rannten in größeren Kreisen und nahmen Anlauf, um höher springen zu können. Zalman schreckte auf dem Kutschbock zurück und hielt schützend seinen Regenschirm vor sich, doch er wich nicht von der Stelle. Der Karren blieb, wo er war.
    »Cäsar! Dracula!«, rief schließlich eine dünne Stimme.
    Die knurrenden Hunde wichen in den Hof zurück.
    Anghel hatte sich hinter einem Heuballen versteckt und alles beobachtet.
    Der Jude stand im Schatten der Linde. »Doamnă Florina?«, rief er. »Doamnă Florina!«
    Er schaute suchend in den Heuschober, dann in den Kuhstall, wo er einen Zipfel von Florinas schwarzem Kopftuch zwischen ihren Schultern flattern sah. »Doamnă Florina? Ich bin gekommen …« Die Hände des Juden öffneten und schlossen sich, als sprächen sie miteinander, dann presste er sie gegen die Brust. »Darf ich fragen, ob Sie verheiratet sind?«
    Florina zog eine schmutzige Armbinde aus den Tiefen ihres schwarzen Rocks, das Abzeichen der Eisernen Garde. Sie hielt sie dem Juden unter die Nase. »Mein Mann, was mir von ihm geblieben ist.«
    Der Jude schreckte zurück. »Ach … Ihr Ehemann ist verstorben? Bitte entschuldigen Sie, Doamnă Florina, ich muss mich geirrt haben. Hier ist nicht, was ich suche. Auf Wiedersehen, Doamnă Florina.«
    Der Jude kletterte zurück auf seinen Karren.
    Auf dem Weg zum Rathaus vertrieb sich Zalman die Zeit mit talmudischem Singsang. »Die Frage lautet: Muss ein Jude Buße tun, wenn er im Versteck ein schreiendes Kind erstickt hat, um das Leben anderer Menschen zu retten? Rabbi Schimon Efrata sagt: Wenn ein Mensch lieber stirbt, als einem anderen das Leben zu nehmen, ist er heilig zu nennen. Doch wer ein schreiendes Kind zum Schweigen bringt, um nicht entdeckt zu werden, und damit jüdisches Leben rettet, muss kein schlechtes Gewissen haben. Möge der Allmächtige …«
    *
    Anghel lief über die Pferdeweide und stieg die Anhöhe über dem Fluss hoch. Seine Beine baumelten aus seiner Höhle, als er die Hand nach einer wilden Anemone ausstreckte. Mit dem Stängel zwischen den Lippen lehnte er sich zurück. Sein Blick folgte einer Wolke, und er dachte an Florina, die seine Augen mit einer Strauchnessel verglich, oben grün und borstig, unten grauer Flaum …
    Eine schwarze Scheibe schob sich vor den Himmel; sie beugte sich zu ihm hinab, begann zu sprechen.
    »Bist du Jude, Jingele?«
    Anghel zog die Knie hoch, sprang auf, kletterte den Hügel hoch und verschwand.
    »Aha!«, rief Zalman. »Ein rumänischer Bengel hätte auf die Frage, ob er Jude sei, gespuckt, geflucht und mir mit der Mistgabel gedroht.«
    »Er ist wiedergekommen!«, keuchte Anghel.
    Florinas
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