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Ich bin verboten

Ich bin verboten

Titel: Ich bin verboten
Autoren: Anouk Markovits
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Daunendecke mit dem schlafenden Jungen hochhob, streiften bereits die ersten warmen Sonnenstrahlen den Hügel. Sie trug Anghel in die Küche, rieb ihm die Brust mit heißem Tuică ein und lächelte dabei, doch Anghel bemühte sich, nicht zurückzulächeln. Kein breites Lächeln, denn wenn sich sein Grübchen zeigte, würde Florina glauben, er wolle sie verhexen, und dann würde sie ihm die Stirn nach seinen jüdischen Hörnern abklopfen und sich womöglich fragen, ob er sich nicht unrechtmäßig nahm, was sie ihm gab.
    Im Sommer wurde hinter dem Feldkreuz ein Zaun errichtet, der dem Verlauf der Wagenspur um die Pferdewiese folgte. Vor dem Zaun war Rumänien, hinter dem Zaun war Ungarn. Vor dem Zaun trugen immer mehr Männer die Armbinde der Legion des Erzengels Michael, der Eisernen Garde.
    Im Winter lernte Anghel, wie man einen Ochsen vor den Pflug spannt. Es gefiel ihm, die Tiere aufs Feld zu führen, ihr warmes Fell zu spüren und ihr tiefes Brummen zu hören. Doch mittags aß er nie mit den anderen Feldarbeitern zusammen, lieber lief er zu seinem Versteck im Wäldchen. Dort saß er und sah zu, wie die Blätter zusammen vom Baum fielen und getrennt landeten.
    *
    Dann war wieder Frühling, und vielleicht kam das weiße Flimmern an den versiegelten Waggons von Schmetterlingen, vielleicht waren es keine Finger, die um Wasser flehten, und sein Name lautete Anghel, und sein Vater war in Odessa gefallen, und seine Mutter war Florina, die ihm jeden Morgen ihr Medaillon an die Stirn drückte und ihn ermahnte: »Du darfst nicht der Beste in der Klasse sein. Lass dir nicht anmerken, wenn du etwas weißt. Antworte nicht auf die Fragen des Lehrers.«
    *
    Noch vor dem ersten Hahnenkrähen bellten die Hunde. Anghel stieg aus dem Bett und schaute aus dem Küchenfenster. Aus dem Nebel über dem Fluss sah er drei Silhouetten auftauchen. Er brachte die Hunde zum Schweigen.
    Nachdem Florina mit Schubkarre und Rechen verschwunden war, lief er zum Schuppen auf der Wiese – wohin sonst hätten die Flüchtlinge gehen können, ohne die Hunde in der Nachbarschaft zum Bellen zu bringen? Damit seine Schritte nicht länger auf dem durchnässten Boden schmatzten, blieb er stehen und kauerte sich hinten an die Schuppenwand. Mit einem Auge spähte er durch die Spalte zwischen zwei Balken.
    Ein Mann, eine Frau, ein kleines Mädchen.
    Der Mann band sich einen schwarzen Würfel auf die Stirn. Seine Lippen bewegten sich, während er sich vor und zurück wiegte. Die Frau saß auf dem Boden, ihr Rücken lehnte an der Wand. Sie band dem Mädchen ein blaues Band ins Haar. Als das Geräusch eines herannahenden Zugs zu hören war, hob die Frau den Kopf. In der Kurve wurde der Zug langsamer, zischte und nahm wieder Fahrt auf. Die Frau schlug die Hände vors Gesicht. Der Mann flüsterte in einer Sprache, von der Anghel nicht gewusst hatte, dass er sich an sie erinnerte. Die Frau seufzte. Das kleine Mädchen schlief auf dem Schoß der Mutter ein.
    Wieder kam ein Zug, wurde in der Kurve langsamer und blieb stehen.
    Der Mann und die Frau blickten sich erschrocken an.
    Der Körper des Mannes wiegte sich schneller vor und zurück, vor und zurück. Seine Lippen bewegten sich wieder.
    Die eine Hand ins Kreuz gestützt, die andere flach an der Wand, schob die Frau sich hoch. Sie war schwanger, hochschwanger. Sie schaute durchs Schuppenfenster. »Er ist es! Der Rebbe, schnell!« Die Frau strahlte übers ganze Gesicht.
    Der Mann hob verwirrt die Augenbrauen. Als die Tür des Schuppens quietschend aufging, hielt er das kleine Mädchen an der Hand fest.
    Die Frau rannte auf den Zug zu, einen Güterzug. Die Türen der einzelnen Waggons standen weit offen. In ihnen liefen Menschen herum.
    »Rebbe!«, rief die Frau einem Juden zu, der in einem der offenen Waggons saß und ein Buch las.
    Ein Schuss. Die Hand der Frau fuhr zur Brust hoch, wo sich ein Flecken ausbreitete. Sie stolperte.
    Der Mann rannte mit dem schwarzen Würfel auf der Stirn aus dem Schuppen.
    Wiehernde Pferde, das harte Aufschlagen von Hufen. Ungarische Wachposten übersprangen den Zaun und kamen durch den Fluss Nadăş geritten.
    Das kleine Mädchen stand in der Tür des Schuppens.
    Anghels Hand legte sich über ihren Mund. Ihr gedämpfter Schrei unter seinen Fingern: »Mama!« Er zog sie hinter den Schuppen und auf den Boden hinab, sagte ihr, sie dürfe sich nicht bewegen, ihre Mutter wolle, dass sie lebe.
    Der Zug fuhr weiter.
    Als es dunkel wurde, stiegen Anghel und das kleine Mädchen über den
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