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Ich bin verboten

Ich bin verboten

Titel: Ich bin verboten
Autoren: Anouk Markovits
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Herrn Respekt: Sie schritten weder zu stolz noch gebeugt, hielten die Schultern durchgedrückt und das Kinn hoch. Leise hallten ihre Schritte durch den Nebel. Kurz vor der Piaţa Libert ă ţii trennten sie sich, und Zalman betrat den großen Platz allein. Schleier von Dunst hingen über den Fassaden, doch Zalman sah funkelnde Edelsteine: Wenn an Simchat Thora der Tanz Gebet war, wenn an Simchat Thora Engel die von den Juden getanzten Schritte einsammelten und zu einer Krone flochten, dann war die Herrlichkeit des Herrn, dann war dieser Morgen …
    Von hinten zerrte etwas an Zalmans Kragen.
    Ein dumpfes Plopp, dann prallte leise klirrend ein Knopf vom Straßenpflaster ab.
    Soldaten.
    Jemand zog an Zalmans Ärmel. Zwei weitere Knöpfe rissen ab.
    Ein Gewehrlauf hob seinen Hut an. Zalmans Hand fuhr hoch.
    Ein stumpfer Schlag auf die Finger. Zalmans Hand zog sich zurück, allerdings erst, nachdem sie ertastet hatte, ob die Kippa noch am Platz saß.
    Der Gewehrlauf zeigte auf den Boden. »Heb ihn auf!«
    Zalman hob seinen Hut auf und hielt ihn mit beiden Händen fest, weil er nicht wusste, was besser war, ihn aufsetzen oder nicht.
    Zwei schwarze Lederstiefel traten näher. Zwei Lederfinger griffen spitz nach dem Hut und zogen ihn langsam hoch. Eine Hand drückte ihn auf Zalmans Schädel. Die Stiefel traten zurück.
    Ein Bajonett zeigte auf Zalmans Bauch.
    Zalman schloss die Augen. Wenn er denn sterben musste, dann wollte er dem Tod wie Rabbi Akiba mit einem lauten Schema Jisrael auf den Lippen entgegentreten. Wie all die Märtyrer vor ihm intonierte er: »Höre, Israel, der Herr, unser Herr, ist ein einziger Herr …«
    »Eins, zwei, drei. Still gestanden!«, befahl eine Stimme vor ihm.
    Ein Klicken. Ein Lichtblitz.
    Zalmans Schultern sanken nach vorne. Er schaute aufs Pflaster, den Mantel weit offen und den Hut in die Stirn gedrückt, während die Soldaten um ihn herum Posen des Triumphs einnahmen.
    »Schön. Noch eins. Nicht bewegen!«, sagte die Stimme vor ihm.
    Klicken. Ein Blitz.
    Die Soldaten ließen die Gewehre sinken, der Fotograf klappte das Stativ zusammen, und der Trupp verschwand im Nebel, der noch immer über den Fassaden der Piaţa Libertă ţ ii hing.
    Zalmans Augen weiteten sich. Sein Herz schlug höher.
    Er war bereit gewesen; bereit, im Namen des Herrn zu sterben.
    *
    Wenige Monate später heiratete Zalman Stern Hannah Lea Schaiovits, und mit den sündigen Träumen hatte es für immer ein Ende. Nun floss Zalmans Samen nach dem Gesetz, und er zeugte sein erstes Kind, das er Eydell Atara nannte – Eydell im Gedenken an die Mutter seiner Mutter, Atara für die Kronen, die er an dem Morgen gesehen hatte, als sein Leben verschont wurde.
    Die Geschichte von dem Foto war die einzige, die Zalman seinen Kindern erzählte. Sie musste für die nächsten fünf nicht zu fotografierenden Jahre herhalten.

Maramure ş , Siebenbürgen
    Einhundert Kilometer östlich von Szatmár saß an dem Morgen, an dem Zalmans Leben verschont blieb, der fünfjährige Josef Lichtenstein auf einem Küchenstuhl und sah zu, wie seine Mutter seiner kleinen Schwester eine Schleife ins Haar band. Er versuchte Mamas Fingern zu folgen, die das Band um eine Locke unter- und wieder überschlugen, aber er bekam nicht heraus, wie sie es machte, dass das Stoffband auf Pearelas Kopf zu einer vierfachen Schleife erblühte.
    Ein Zweig streifte die Scheibe und schlug leicht an den Rahmen des halb offenen Fensters; ein flammenförmiges, herbstrotes Laubblatt wirbelte in die Küche.
    Pearela neigte sich seitlich aus dem Hochstuhl und streckte die Arme nach Josef aus.
    »Jossela, spiel doch mit deiner Schwester in der Diele, während ich das Frühstück mache.«
    Mama hob Pearela aus dem Hochstuhl. Josef nahm seine kleine Schwester bei der Hand.
    »Lasst die Tür offen, damit ich euch sehen kann.«
    Josef saß im Schneidersitz auf dem Parkettboden der Diele und öffnete den Deckel einer Pappschachtel, aus der er einen aus Holz geschnitzten hebräischen Buchstaben zog. »Schau her, Pearela, la-med, l-l-lamed .«
    Pearela griff nach dem Buchstaben. »La! La!« Sie kippte um, sprang tschilpend wie ein Spatz wieder auf und lief mit unsicheren Babyschritten den Korridor entlang.
    Josef eilte ihr nach und schloss schnell die Tür zum Esszimmer mit der überhängenden Tischdecke, die Pearela schon zweimal heruntergerissen hatte. »Mama sagt, das darfst du nicht!«
    Das Schloss war nicht richtig eingerastet, Pearela stieß die Tür auf, steuerte auf den Tisch
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