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Ich bin unschuldig

Ich bin unschuldig

Titel: Ich bin unschuldig
Autoren: Sabine Durrant
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Grenze zwischen Leben und Tod, die man sich, wenn man darüber nachdenkt, als eine unvorstellbare Höhle denkt, unendlich weit und tief, ist am Ende nur ein dünner Faden. Er reißt wie ein Nähfaden. Das Knoten ist schwerer. Man agiert und reagiert. Es sind die Kleinigkeiten, die einen überrumpeln.
    Ich schnäuze mir die Nase mit dem Rand meines Oberteils und versuche einen klaren Gedanken zu fassen. Ich weiß, dass ich Fehler gemacht habe. Ich bin kurz davor, erwischt zu werden. Das war ich die ganze Zeit. Ich gehe noch einmal alles durch. Ich muss vorsichtig sein, doch ehe man sich’s versieht, wird Vorsicht zur Paranoia. Ihr Telefon: Die Einzelteile – der Akku, die Hülle und die SIM -Karte, habe ich zusammen mit der Bleiche in verschiedene Container geworfen. Für den Koffer habe ich einen Container ausgewählt, der so hoch beladen war, dass ich mir sicher sein konnte, dass er am nächsten Tag abgeholt werden würde.
    Die Halskette habe ich mit nach Hause genommen – warum, weiß ich nicht. Mörder bewahren oft Andenken. Das habe ich gelesen. Ich folge bloß meinen Vorbildern. Aber ich habe sie gut versteckt. Ein Haus hat am Ende hundert Verstecke, ob die jetzt mit einem feinen Kamm durchgehen oder nicht. Zuerst in einem Beutel Tiefkühlerbsen, später hinter Philips Schublade – mir gefiel der Gedanke, dass er sie jedes Mal, wenn er sie aufzieht, ein bisschen mehr zerreibt –, aber der Crosstrainer ist besser. Keine Fingerabdrücke – als ich sie heute da reingetan habe, habe ich Martas Latexhandschuhe getragen; sie werden denken, er hat sie abgewischt. Das Fitnessgerät war clever. Ein Ort, den ein Mann als Versteck wählen würde, ein Ort, an dem Männer suchen würden. Dort ist sie leicht zu finden, und sie werden sie finden – heute Abend oder morgen früh.
    Ein Zug rattert über die Gleise in der Schneise unten zwischen den Hecken. Es vibriert in meiner Wirbelsäule, unter meiner Haut.
    Als ich nach Hause kam, hatte ich noch die Kordel aus der Kapuzenjacke, das Tatwerkzeug. Ich zerknüllte sie in meiner Hand, als könnte ich sie so verschwinden lassen. Ich erwog, sie die Toilette hinunterzuspülen. Am Ende zog ich sie mit einer Sicherheitsnadel wieder in die Kapuze, und dabei zitterten meine Hände so sehr, dass ich mich eine Million Mal stach. Ich knotete sie an die Sicherheitsnadel und zog diese Zentimeter für Zentimeter durch, und als ich durch war, löste ich die Knoten und zog so lange an dem Saum, bis die Kordel ganz darin verschwand. Seine Kapuzenjacke und die Laufhose, die ich getragen hatte, steckte ich in die Wäsche. Meine eigene – farblich passende – Laufjacke war schon drin. Marta würde sie am nächsten Vormittag waschen und bügeln. Es war ein Risiko, doch wenn ich sie selbst gewaschen hätte, hätte das leicht Verdacht erregt.
    Philip kam nach Hause und legte sich zu mir ins Bett, und ich achtete darauf, dass wir uns nicht berührten. Ich musste meine Glieder zwingen, nicht zu zucken, meinen Mund, nicht zu heulen, meine Augen, sich nicht zu öffnen. Ich wartete bis kurz vor der Morgendämmerung und schnappte mir dann meine Laufsachen und Philips Kapuzenjacke aus dem Korb mit den schmutzigen Sachen, zog mich an und verließ das Haus.
    Der Schock, sie wiederzusehen, wie sie in dem Wäldchen lag, wo ich sie abgeladen hatte, war nicht in Worte zu fassen. Die Brutalität dessen, was ich getan hatte, die Endgültigkeit, der abscheuliche Anblick ihrer Leiche – wahrlich eine entsetzliche Erfahrung. Ich glaube, in einem kleinen Winkel meines Gehirns hatte ich gehofft, sie wäre nicht dort, ich hätte es nur geträumt, das Ganze wäre eine widerliche Kopfgeburt. Doch da lag sie, reglos. Ich hatte das getan. Sie war barfuß. Der Träger ihres BH s hatte sich gelöst – der BH , den Philip ihr geschenkt hatte, obwohl ich das da noch nicht wusste. Sie wirkte so verletzlich. Ich vergaß, dass sie Philips Geliebte war. Sie war nur ein junges Mädchen, jemandes Tochter, deren restliches Leben brutal abgeschnitten worden war.
    Die Polizei kam, Morrow und Perivale. Ich bin von Beruf Schauspielerin, keine Journalistin, doch der Schock, die verzweifelte Trauer, das war nicht gespielt. Ich schaffte es, die Fragen zu stellen, von denen ich dachte, dass ich sie stellen sollte, und die, auf die ich Antworten wollte (etwa nach dem Ausschlag in ihrem Gesicht). Ich ging zur Arbeit, brachte den Tag hinter mich. Erst als Perivale später kam, machte ich die ersten Fehler. Ich bekam Panik. Ich gab ihm
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