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Ich bin unschuldig

Ich bin unschuldig

Titel: Ich bin unschuldig
Autoren: Sabine Durrant
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sie dastand mit ihren schäbigen Fingernägeln und ihren gefärbten Haaren und ihrer billigen kleinen Hose von Topshop . Sie sah ein wenig aus wie ich, es stimmt. Keine wirkliche Ähnlichkeit, nur oberflächlich und banal. Sie war einfach sein »Typ«. Sie meinte, ich sähe »mitgenommen« aus, und machte mir einen Tee. Ich konnte ihn nicht mal anfassen. Sie feixte nicht. Sie entschuldigte sich herzig mit der natürlichen Herablassung der Jugend. Sie sagte, es tue ihr leid, aber es sei zu spät. Phil werde seinen Job aufgeben, wegziehen, neu anfangen.
    Phil.
    »Philip mag das Landleben nicht«, erklärte ich ihr. »Er wird nicht wegziehen.«
    »Es ist ihm egal, wo er ist«, sagte sie mit einem selbstzufriedenen Kopfschütteln. »Solange wir zusammen sind. Phil möchte eine Familie gründen.«
    »Philip braucht keine Familie zu gründen. Er hat schon eine.«
    Sie lächelte geheimnisvoll. »Und es ist ein Baby unterwegs.«
    Ein Baby. Ein anderes Kind.
    »Philip will keine Kinder mehr«, sagte ich. Ich sprach zu schnell, schrie. »Er will sich nicht zu viel zumuten.« Seine Worte aus meinem Mund; worauf war ich reduziert?
    »Dieses will er«, sagte sie und strich mit den Händen über ihren flachen Bauch. »Kommen Sie! Sehen Sie, was er gekauft hat.«
    Ich folgte ihr ins Schlafzimmer. Es war warm darin. Ich bekam keine Luft und kämpfte gegen die Tränen, auf keinen Fall wollte ich vor ihr weinen. Ich stand in meinen Laufklamotten in der Tür, dachte an das Baby, zupfte an Philips Kapuzenjacke herum, zupfte und zupfte. Es stieg in meiner Brust auf, das Schluchzen, und ich versuchte an den Lebenszyklus des Frosches zu denken, an die Ursachen des Zweiten Weltkriegs. Ich keuchte, drehte einen Fuß hinter das Bein, keuchte, um Luft zu bekommen, fummelte an der Kordel der Kapuze an Philips Laufjacke herum, verknotete sie und löste den Knoten wieder, und sie beugte sich vor, um etwas vom Bett aufzuheben. Das schwarze Dreieck eines Tangas über dem Hosenbund. Und als sie sich umdrehte, schmiegte sie sich ein Plüschkaninchen an die Wange.
    Es sah aus wie Millies rosa Kaninchen, nur neuer.
    Ihre Miene – kindisch, vertrauensvoll, eine Frau, die stets umsorgt und geliebt worden war – bohrte sich in mein Hirn. Und Philips Dummheit, seiner Geliebten dasselbe Plüschtier zu schenken wie seiner Tochter. In diesem Augenblick löste sich die Kordel aus der Kapuze, eine Seite war aufgeknotet, ich hatte sie herausgezogen, bevor ich es richtig mitbekam. Mit einem einzigen Ruck war sie in meiner Hand, und ich bewegte mich vor, und schon war sie um ihren Hals gewickelt. Sie hob die Hände an die Kehle, die packten und gruben, doch ich stand nur da. Sie schlug um sich, wand sich, zappelte und krümmte sich. Das schien es nur schlimmer zu machen. Ich hielt sie so, dass ihre Füße den Boden kaum berührten.
    Wie leicht manche Frauen sind. Die Sterbenden, hatte ich Clara erklärt, sind gruseliger als die Toten. Es dauerte nicht lange, nur ein paar Minuten, bis sie sich nicht mehr rührte, und ich legte sie auf das rosafarbene Spitzenfederbett.
    Mit dem Fuß bleibe ich an einer Wurzel hängen und falle beinahe hin, Gesicht voran, mit wedelnden Armen. Ich fange mich gerade noch rechtzeitig. Ich schluchze jetzt. Ich wollte sie nicht umbringen. Ich bin an sich kein schlechter Mensch, auch wenn ich weiß, dass ich einer geworden bin: Das begreife ich durchaus. Ich habe eine Frau getötet. Ergebnis einer Kette von Ereignissen. Ich wollte nur meine eigene Familie. Mehr habe ich nie gewollt.
    »Es tut mir leid«, murmele ich jetzt. »Es tut mir leid. Es tut mir leid.«
    Später, als mir klar wurde, was ich getan hatte, wusste ich nicht, was ich tun sollte. Heulend ging ich in der Wohnung auf und ab. Ich ging immer wieder ins Schlafzimmer, falls ich mich getäuscht hatte, falls sie noch lebte. Ich grub die Fingernägel in meine Handflächen. Ich zerkratzte mir die Arme – Perivale ist es aufgefallen. Ich hatte das Gefühl, ich könnte die Zeit anhalten, die Uhr zurückstellen, es wäre nicht real, doch dann dämmerte mir ein ums andere Mal, dass es wirklich passiert war, dass ich nichts mehr ändern konnte. Selbst jetzt wache ich morgens auf, und es dauert einen Augenblick, bis die Realität dessen, was ich getan habe, mich einholt. Das werde ich wahrscheinlich nie mehr los. Hoffentlich nicht. Dieser Augenblick der Unschuld ist der süßeste Moment des ganzen Tages.
    Ich hätte die Polizei anrufen sollen. Ich wollte. Ich holte mein Handy raus.
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