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Ich bin unschuldig

Ich bin unschuldig

Titel: Ich bin unschuldig
Autoren: Sabine Durrant
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unerträglich. Ich schaukele vor und zurück. Ich habe ihm vertraut, und er hat mich betrogen. Keiner ist wirklich der, für den man ihn hält. Jeder hat verschiedene Seiten. Die eigene Person ist einem immer wichtiger als jemand anders.
    Ich hebe den Kopf und lehne mich an die Holzlehne. Hinter dem Kricketfeld gleitet ein Auto die Trinity Road hinunter, dahinter das silbrig graue Strebwerk des Wandsworth-Gefängnisses.
    Ich zwinge mich, aufzustehen und weiterzulaufen, aber jetzt richtig, um möglichst alles herauszustampfen, am Bowling Green vorbei, die Stufen hoch, an der Hütte am Tennisplatz vorbei. Ich möchte meinen Kopf frei machen, aber es gelingt mir nicht. Ich habe zu viel aufgewühlt.
    Ich war bemitleidenswert damals. Warten, beobachten, erbärmlich hoffen, dass es aufhört, wenn ich nur nett und liebevoll und fröhlich bin. Ich sagte mir, eine Szene würde die Sache nur schlimmer machen. Unter Belagerung wird Philip unbeugsam. Ich wollte noch ein Kind, er nicht. Je mehr wir stritten, je mehr ich weinte, desto sturer wurde er. In dieser Krise blieb ich still. Im Kopf nahm ich Zuflucht zu Klischees: »eine Affäre«, »ein Seitensprung« – neckische Phrasen, die so bedeutungslos wie unzutreffend waren. Ich hätte alles getan, um ihn zu halten. Ein Leben ohne ihn konnte ich mir nicht vorstellen. Es musste aufhören. Doch es hörte nicht auf … es ging immer weiter. An Weihnachten machte er lange Spaziergänge, »um den Kopf frei zu kriegen«. Wir brauchten zu den seltsamsten Zeiten Milch. Ein- oder zweimal folgte ich ihm, lauerte vor ihrer schäbigen Wohnung, fühlte mich elend, schmutzig, zerstört durch die Sache.
    Ich muss gründlich darüber nachdenken. Ich muss weitermachen, um ganz sicher zu sein. Die Woche von Millies Geburtstag. Ich weiß nicht, ob er Ania besucht hat oder ob er einfach durch den Gedanken an sie abgelenkt war, aber er hat ihn vergessen. Er ist nicht nach Hause gekommen. Millie hat ihre Kerzen ohne ihn ausgepustet. Marta und ich haben gesungen, und sie hat ihre Geschenke ausgepackt, und ich tat, als wäre alles gut – »fleißiger alter Dad«. Unser Hochzeitstag. Im Hinterkopf dachte ich immer wieder: Wir bräuchten nur ein bisschen Zeit für uns, nur wir beide. Nicht nur Sex, sondern Zusammensein, Frühstück im Bett, normale Sonntagsgespräche. Ich buchte das Hotel, besorgte hübsche Unterwäsche, plante, in unserer »Date Night« darüber zu sprechen. Er kam nicht. »Wir holen es nach, Gabs«, sagte er so beiläufig, so uninteressiert, als würde er mich schon gar nicht mehr wahrnehmen.
    Da kam Verzweiflung auf. Ich spüre sie jetzt noch. An ihn zu denken und mir Sorgen um ihn zu machen, monatelang, das Gefühl dafür zu verlieren, was real ist und was nicht. Mir selbst die Schuld zu geben. Hätte ich dies oder jenes doch nur anders gemacht. Wäre ich nur … Die Angst, er würde mich verlassen, raubte mir alle Kraft. Ich wusste nicht, wer ich ohne ihn sein würde. Ich präsentierte die Fassade der fähigen berufstätigen Mutter. Eine einzige Lüge. Ich lache jetzt lauthals unter den Sträuchern, unter dem Dach der Bäume; es hallt über die Eisenbahn bis zu dem Pfad auf der anderen Seite. Abrupt verstumme ich. Ich werde verrückt. Ich bin schon verrückt.
    Diese Nacht. Bilder, die ich begraben habe, schwarz und düster, steigen auf.
    Ich hatte allen Mut zusammengenommen und im Geiste geübt. Ich probierte Phrasen aus, kämpfte mit Klischees (was er mir »schuldig war«, was ich »verdient« hatte). Ich würde ruhig und freundlich sein. Ich würde nicht toben. Ich wartete. Ich weinte. Ich zog seine graue Kapuzenjacke über, um seinen Duft auf meiner Haut zu spüren. Ich versuchte mich zu erinnern, wie es war, wenn wir uns nah waren. Ich hatte vergessen, natürlich zu sein, ich selbst zu sein. Ich fantasierte, dass er voller Reue, Tränen und Liebe zusammenbrach. Ich trank ein Glas. Und noch eins. Ich wartete. Als er aus dem Nobu anrief, war ich starr vor Anspannung. Ein Schlag, und ich würde in tausend Stücke zerbersten.
    Er kam nicht nach Hause. Alles umsonst. Ich lief aus dem Haus. Ich rannte in dieser Nacht hier runter, kämpfte mich diesen Pfad entlang, die Arme seltsam schief von mir gestreckt, mit heißem Kopf. Ich hämmerte an die Tür, stand da, völlig außer mir und atemlos. Warum bin ich dorthin? Um zu flehen? Zu kämpfen? Ich kann mich nicht erinnern. Sooft ich es auch versuche, ich erinnere mich nicht. Worauf ich mich noch besinnen kann, ist ihr Anblick, wie
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