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Ich bin unschuldig

Ich bin unschuldig

Titel: Ich bin unschuldig
Autoren: Sabine Durrant
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Und dann steckte ich es wieder weg. Ich dachte an Millie, und eine andere Art von Adrenalin übernahm die Führung. Ich fing an zu überlegen, meine Gedanken rasten. Würde es aussehen wie ein Einbruch, ein Raubüberfall, der aus dem Ruder gelaufen war? Wieder ging ich in der Wohnung auf und ab. Gab es irgendetwas, was meine Anwesenheit hier verriet? Den Tee hatte ich nicht angerührt: gut. Hatte ich sonst irgendetwas angefasst? Vielleicht ihren Hals. Ich ging in die Küche und öffnete mithilfe eines Küchenhandtuchs den Schrank. Dort fand ich die Bleiche und sprühte sie damit ein. Ich versuchte, nicht ihr Gesicht anzusehen, die hervorquellenden Augen und die Zunge. Ein Glas Wasser, verschüttet. Ihre Halskette, der Heilige Christophorus, war beim Kämpfen kaputtgegangen. Ich steckte sie in meine Tasche, zusammen mit der Kordel aus der Kapuzenjacke, die klebrig war von ihrem Hals. Ich hätte mich gern hingesetzt, doch das wagte ich nicht. Ich musste zügig weitermachen. In Bewegung bleiben.
    Was noch? Was noch? Eine Stunde verstrich, oder zwei oder drei: Ich verlor jedes Zeitgefühl. Alles, woran ich denken konnte, war DNA ; ich hatte Bilder von CSI Miami im Kopf, mikroskopische Nahaufnahmen der Doppelhelix. Ich hatte bestimmt etwas zurückgelassen, ein Hautfetzchen oder einen Tropfen Speichel. Ich wünschte, ich wüsste mehr darüber: Wie lange sich so etwas hält und worauf. Spielte es eine Rolle, wenn ich etwas zurückgelassen hatte? Meine DNA war nicht erfasst, doch sobald sie von Philip erfuhren – denn das würden sie, er würde sich melden, sobald er davon hörte –, sobald die Affäre publik war, würde der Verdacht auf mich fallen. Und wenn meine DNA dann an der Leiche war …?
    Da kam mir plötzlich die Idee, sie auf den Common zu schaffen, wo ich sie dann »finden« konnte. Das würde meine DNA erklären. Es war viel besser: ein Raubüberfall oder ein psychopathischer Mörder. Ich musste mich beeilen. Ich zwang mich, sie anzusehen. Ich war mir nicht sicher, ob ich sie anfassen, geschweige denn, hochheben konnte. Sie war leicht, schlank, ein paar Zellen, die in ihr wuchsen, kein Baby, kein Baby, nein, kein Baby. Ich versuchte sie mir über die Schulter zu hieven, aber eine Leiche … man spricht nicht umsonst von »totem Gewicht«. Ich legte sie wieder hin, und dabei verdrehte sich das T-Shirt unter ihrer Achsel. Da fiel mein Blick auf die Kirschtätowierung in ihrem Kreuz.
    Ich überlegte angestrengt, ließ den Blick durch die Wohnung schweifen. Wenn hier ein Kinderwagen wäre oder ein Buggy oder … Und dann blieb mein Blick an dem Schrank hängen. Oben drauf lag eine Reisetasche, ein riesiges weiches Gepäckstück auf Rädern. Ich zog es runter und öffnete den Reißverschluss. Ich hob sie noch einmal vom Bett und zwängte sie in die Tasche, die Arme verschränkt, die Knie hochgezogen. Die Flasche mit Bleiche warf ich mit hinein. Den Reißverschluss kriegte ich fast rundherum zu, nur oben nicht ganz. Ein paar Haare verfingen sich im Zipper.
    Es war eine ruhige Nacht, leichter Nieselregen, irgendein wichtiges Spiel im Fernsehen. Ich nahm den schmalen Weg durch die Kastanien von den Wohnblöcken zum Common; zweihundert eilige Meter, der Koffer holperte und scharrte. Ich schluchzte den ganzen Weg. Bei Nacht vermeiden die Leute diesen Pfad, zu dunkel, zu gruselig. Und niemand war draußen: Glück, Zufall. Vieles hatte mit Glück und Zufall zu tun. Ich habe wohl drei Minuten für den Weg gebraucht, die längsten drei Minuten meines Lebens. Als ich zu den Bäumen kam, wollte ich sie eigentlich behutsam niederlegen, doch am Ende, in der Hast, nachdem ich die Strähne aus dem Reißverschluss gerissen hatte, zerrte ich sie einfach an den Haaren aus dem Koffer. Ich ließ sie einfach da liegen, auf dem Boden, unter ein paar Schösslingen, nur wenige Schritte von da, wo ich beobachtet hatte, wie sie sich küssten.
    Ich zittere und laufe weiter, an dem Wäldchen vorbei, zurück zum Bowling Green. Hier bin ich heute Abend schon dreimal rumgelaufen. Ich hänge fest, habe mich verheddert. Es gelingt mir, scheint es, nicht, mich zu befreien. Ich komme zu dem kleinen Schuppen, wo die schmuddelige schwarz-weiße Katze gelebt hat. Ich setze mich auf die Schwelle. Ich schluchze immer noch. Ich wünschte, ich könnte aufhören. Ich weine um sie, und ein wenig auch um ihn, aber hauptsächlich um mich.
    Man denkt, man weiß Bescheid über so was, aus Krimis und Fernsehdramen. Aber es ist leichter und schwerer. Die
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