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Ich bin die, die niemand sieht

Ich bin die, die niemand sieht

Titel: Ich bin die, die niemand sieht
Autoren: J Berry
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kommen sah, aber ich ertrage es nicht, dass er mich auch gesehen hat, als ich im Wald bei dir lag. Dieser böse Mensch! Hat er nichts Besseres zu tun, als mich zu verfolgen?
    Dorfvorsteher Brown setzt sein Hämmerchen ein. »Ruhe!«
    Ein Säugling wimmert und sucht nach der Brust seiner Mutter.
    »Das ist eine Lüge«, sagst du noch einmal. Du klingst so sicher wie jemand, der tatsächlich falsch beschuldigt wird. »Sie verleumden mich und Miss Finch.«
    »Sehen Sie ihr ins Gesicht und sagen Sie mir, ob es wirklich gelogen ist«, sagt einer der Ältesten.
    Ich wende den Blick zu spät ab.
    Du holst tief Luft, um dich gegen die Vorwürfe zu wehren, und hältst dann inne.
    Ja.
    Die Decke.
    Jetzt weißt du es.
    »Und was Miss Judith Finchs Charakter angeht«, fügt Rupert Gillis hinzu, »erst gestern in der Mittagspause bot sie mir an, mich am Abend zu besuchen.«
    Du spannst deinen Körper an.
    » Wenn ich sie bezahle.«
    Die Bewohner von Roswell Station schaffen es nicht einmal mehr, ihr Erstaunen zum Ausdruck zu bringen. Sie sitzen da in stummer Angst und fürchten die Strafe Gottes, weil sie es zuließen, dass ich mitten unter ihnen lebte. Hell zeichnen sich Mr Robinsons Augenbrauen gegen sein knallrotes Gesicht ab.
    Du hältst den Kopf gesenkt.
    Rupert Gillis hat einen langen, weißen Hals, weich wie Käse.
    Bitte sieh mich an, Lucas.
    »Das stimmt nicht!« Darrels Stimme durchdringt das allseitige Getuschel. »Sie war die gesamte Pause über mit mir zusammen. Sie hat kein Wort zu Gillis gesagt. Er hat ihr nachgestellt!«
    Ich suche seinen Blick. Danke, Darrel. Aber niemand glaubt einem Bruder, der die Ehre der eigenen Schwester verteidigt.
    Die anderen sind mir gleichgültig. Lucas, sieh mir in die Augen und erkenne die Wahrheit.
    Dass du mich nicht ansiehst, ist eine schlimmere Anklage als die bösen Blicke der anderen. Sie waren schon von meiner Schuld überzeugt, als mein Name genannt wurde, schon als meine Zunge abgeschnitten wurde. Aber du hättest an mich glauben müssen.
    »Judith Finch.« Dorfvorsteher Browns Stimme ist meilenweit entfernt. »Haben Sie irgendetwas zu sagen?«
    Ganz oben im bogenförmigen Kirchenfenster sehe ich die Sonne. So ein schöner, klarer Tag. Wie dieser weiß getünchte Raum in der Mittagssonne strahlt.
    Habe ich etwas zu sagen?
    Nur zu dir.
    »Judith Finch«, wiederholt er. »Sie sind nicht nur all dessen angeklagt, was Lucas Whiting vorgeworfen wurde, sondern auch des Ehebruchs und der Hurerei. Wie plädieren Sie?«
    In der Menge sehe ich das Gesicht meiner Mutter. Ihre Augen sind geschlossen. Sie ist so reglos, als schlafe sie.
    Meine Missachtung ärgert den Ältestenrat, aber keines seiner Mitglieder will das vor dem versammelten Dorf zugeben.
    Dorfvorsteher Brown fragt: »Lucas Whiting, wenn Sie nicht wussten, wo Ihr Vater sich versteckt hielt, wie haben Sie dann letzte Nacht seine Hütte gefunden?«
    »Die Stute meines Vaters hat mich hingeführt.« Der Dorfvorsteher muss sich nach vorn beugen, um dich zu verstehen.
    »Das Pferd, das Judith Finch aus der Schlacht mitgebracht hat?«
    Du antwortest nicht. Es ist egal. Niemand zweifelt an Fees Herkunft.
    Die Dorfältesten beraten sich eine Weile. Im Raum herrscht Stille. William Salt tritt nervös von einem Fuß auf den anderen und sieht mich von der Seite an. Los, erzähl ihnen, dass du mich gesehen hast, als ich Lucas letzte Nacht befreien wollte. Aber er tut es nicht. Er will nicht zugeben, dass es ihm nicht gelungen ist, ein Mädchen einzufangen.
    Die Beratung ist zu Ende. »Lucas Whiting, es sieht aus, als hätten Sie genauso wenig von der Existenz Ihres Vaters gewusst wie wir. Die Anklagepunkte der Verschwörung und Mithilfe werden deshalb fallen gelassen. Dennoch sind Sie der Unzucht mit dem stummen Mädchen Judith Finch angeklagt. Wie plädieren Sie?«
    Du weißt nicht, was du sagen sollst. Nach Gillis’ Aussage glaubt dir niemand mehr.
    Der Hammer ertönt. »Da Sie beide sich weigern, auf die Anklage zu antworten, müssen wir Ihre Schuld annehmen und bestrafen. Für die Unzucht werden Sie beide drei Stunden am Pranger verbringen. Danach kommen Sie ins Gefängnis. Lucas Whiting wird am nächsten Morgen freig elassen. Judith Finch, für das geheim gehaltene Wissen um Ezra Whiting und den Diebstahl im Waffenarsenal werden Sie des Verrats und der Täuschung angeklagt. Außerdem sind Sie der Hurerei angeklagt. Ihr Urteil wird morgen gesprochen.«
    Die Dorfbewohner stehen auf. Vereinzelt ist Applaus zu hören, andere
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