Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ich bin die, die niemand sieht

Ich bin die, die niemand sieht

Titel: Ich bin die, die niemand sieht
Autoren: J Berry
Vom Netzwerk:
Ich klammere mich an Fees Verschlag fest und klaube Strohhalme von meinem verknitterten Kleid. Mir knurrt der Magen. Auch Fee stupst mich hungrig an. Getreide für sie hast du hier in der Scheune, aber für mich gibt es nichts zu essen. Dein Haus ist verschlossen.
    Die Glocken läuten wegen dir. Der Suchtrupp ist zurück. Das muss es sein. Aber ich weiß erst Bescheid, wenn ich selbst hingehe. Ich werde wie immer ganz hinten sitzen. Vielleicht beachtet man mich angesichts der Ereignisse noch weniger als sonst.
    Ich mache mich auf den Weg. Vor mir sehe ich Mutter in ihrem Sonntagskleid und Darrel, der sich auf ihren Arm stützt. Sie kommen nur langsam voran. Darrel ist heute wohl nicht zur Schule gegangen. Er konnte ja auch nicht, denn es war niemand da, um ihm zu helfen. Ich verstecke mich hinter einem Ahorn und warte, bis die beiden sich weit entfernt haben.
    »Spielst du Verstecken?«
    Goody Pruett lacht über meine schreckhafte Reaktion.
    »Wie siehst du denn aus? Was ist mit deinem Kleid passiert? Und warum versteckst du dich vor deiner eigenen Mutter?«
    Sie tätschelt mich am Ellbogen und irgendwann ertappe ich mich dabei, dass ich sie am Arm ins Dorf geleite.
    »Man braucht nicht viel Fantasie, um den Grund zu erraten. Die alte Goody Pruett hat schon viel erlebt, ja das hat sie.«
    Sie geht so langsam, dass ich fürchte, die Versammlung zu verpassen.
    »Goody Pruett weiß Dinge, die Priester Frye und Doktor Brands nicht wissen müssen.« Sie lacht heiser und sieht mich aus glänzenden schwarzen Augen an. »Du bist in Schwierigkeiten, nicht wahr?« Sie betrachtet mein Kleid.
    Ich bin zu müde, um meine Unschuld zu beteuern. Goody ist nur eine von vielen, die sich anmaßen, mir unmoralisches Verhalten zu unterstellen.
    Wir erreichen die Kirche als Letzte. Goody geht nach vorne zu ihrem Platz und ich verschwinde in der letzten Reihe. Allerdings nicht unbemerkt. Reverend Frye beobachtet mich und er ist nicht der Einzige: Vorne stehen Männer mit Gewehren, vermutlich die Mitglieder des Suchtrupps. Heute ist das hier keine Kirche. Es ist ein Gerichtsgebäude.
    Du bist neben der Kanzel an einen Stuhl gefesselt. Bei Tageslicht sieht deine Kleidung noch schmutziger und abgerissener aus. Deine Lippen sind aufgesprungen und blutig, du hast ein blaues Auge und lässt den Kopf hängen. Alle betrachten flüsternd den gefallenen jungen Ritter. Alle außer Maria. Sie sitzt blass und stumm neben Leon.
    Du suchst den Raum nach mir ab. Dann siehst du mich. Hier. Ich bin da.
    Revrend Frye klopft mit dem Gehstock auf den Boden wie einst Moses an den Felsen. Ruhe kehrt ein. Fünf Mitglieder des Dorfrats stehen auf und nehmen ihre Plätze vor der Versammlung ein. Ihre schwarzen Roben rascheln beim Gehen. Im morgendlichen Sonnenlicht wirken sie fehl am Platz.
    Horace Bron dreht deinen Stuhl in Richtung des Dorfrats. Er klopft dir auf die Wange, damit du die Männer ansiehst.
    Dorfvorsteher Brown räuspert sich.
    »Bewohner von Roswell Station«, krächzt er, »wir haben uns hier versammelt, um irritierende Anschuldigungen zu untersuchen.« Über den Rand seiner Brille sieht er dich an.
    Der provokative Beginn seiner Rede anlässlich einer solch ernsten Situation gefällt vielen im Raum nicht.
    »Für unser Dorf war es ein Schock zu erfahren, dass Ezra Whiting nicht – wie angenommen – vor einigen Jahren gestorben ist, sondern in einem Versteck in der Nähe lebte.«
    Abijah Pratts Kiefer mahlt unablässig. Er sitzt ganz vorne an der Wand und starrt dich an. Er schiebt die dicke Unterlippe vor und zurück, die knotigen Hände halten den Gehstock umklammert.
    Dorfvorsteher Brown raschelt mit Papieren. »Dadurch erfuhren wir mehr über eine Reihe von Tragödien, die sich in unserem Dorf ereignet haben. Und wir fragten uns, wo er gewesen war, wer ihn versteckt hatte und wer ihm dabei geholfen hat, uns zu bestehlen.«
    Mutter zeigt keine Regung.
    Reverend Frye wirft ein: »Unser Waffenlager! Die Leben unserer Kinder, ihre Körper, ihre Unschuld!«
    Dorfvorsteher Brown blickt ernst. »Um diese Vorwürfe zu untersuchen, wurde ein Suchtrupp über den Fluss entsandt, um Whitings Haus sowie Beweismittel zu suchen. Und man fand nicht nur Whitings Haus, sondern auch seinen Sohn.«
    Diese Sicht der Dinge ist vielleicht nicht ganz richtig. Aber leider faktisch zutreffend.
    »Er wird angeklagt, Ezra willentlich versteckt zu haben und ihm bei dessen Verbrechen geholfen zu haben. Zu diesen Verbrechen gehören Diebstahl, Raub, Mord, Folter und
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher