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Ich bin die, die niemand sieht

Ich bin die, die niemand sieht

Titel: Ich bin die, die niemand sieht
Autoren: J Berry
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antwortest du langsam. »Aber ich könnte nur schwer darüber hinwegsehen.«
    Ich stehe auf dem Dorfplatz am Pranger, bin zerzaust und verdreckt und lächele. Die Sonne geht langsam unter. Mir ist eiskalt, aber ich bin glücklich. Ein Kind geht vorbei und starrt uns an. Dann spreche ich weiter.
    »Würdest du mir glauben«, frage ich und suche die Straße nach möglichen Zuhörern ab, »wenn ich dir sagte, dass nichts davon geschehen ist?«
    Ich wünschte so sehr, jetzt dein Gesicht sehen zu können.
    Im Westen türmen sich Wolken auf. Es wird kälter.
    Meine Finger werden nicht mehr richtig durchblutet.
    »Nichts davon?«
    »Nichts.«
    Erst glaube ich, dass du darüber nachdenkst, aber dann spüre ich, dass die Bretter des Prangers zittern.
    Du weinst! »Mein … Vater hat dir nicht wehgetan?«
    Ich muss dich jetzt nicht mehr vor ihm schützen.
    »Er hatt meine Zunge herausgeschnitten. Aber diese andere Form der Gewalt hat er mir nie angetan.« Diese Formulierung ist das einzig nützliche, was ich von Rupert Gillis gelernt habe.
    Du hörst auf zu weinen. »Also er hat dir das angetan.«
    »Er war verrückt, Lucass. Er sagte, es sei zu meinem Schutzs. Das Gleiche sagte er, als er mich entführte.«
    »Schutz wovor?«
    Ich weiß nicht, was ich darauf antworten soll. Ich wusste es noch nie. »Er hatte eine verzserrte Wahrnehmungh. Es war eine Lüge. Seine größte Angsth bestand darin, entdeckt zu werden. Er sagte, mein Schweigen würde mich schützsen, aber es schützste nur ihn.«
    Du denkst eine Weile darüber nach.
    »Und der Lehrer?«
    Diese Frage macht mich wütend und ich gebe mir kein e Mühe, meine Wut zu verbergen. Meine Rückenschmerzen haben sich mittlerweile in pure Qual verwandelt.
    »Lucass. Bin ich eine Hure?«
    »Nein.« Immerhin bist du dir darin sicher.
    Ich muss streng mit dir sein. Du hast meine Menschenkenntnis beleidigt. »Wie könnte ich Rupert Gillis jemals dir vorziehen?«
    Dein Hals reibt an der oberen Kante des Bretts. »Er ist so … gebildet. Kann gut lesen und sich ausdrücken. Jemand wie du mag so etwas.«
    Ich bin zu schockiert, um mir eine gute Antwort auszudenken. Ich muss laut lachen. » Das glaubst du?«
    »Nun, bist du nicht deshalb zur Schule gegangen?«
    Unglaublich.
    Ich denke daran, wie Gillis’ Lineal auf meine Hand niedersaust. »Ich bin hingegangen, um zu lernen. Und um Darrel zu helfen.« Ich kann es immer noch nicht glauben. »Du dachtest, ich wollte in Gilliss’ Nähe sein?«
    Das dachtest du wirklich! Und bist deswegen sogar gekränkt.
    Du räusperst dich. »Als Mutter fortging …«. Es fällt dir schwer. »Ihr Liebhaber war gebildet. Er wollte Lehrer werden.«
    X
    Es läutet zwei Uhr. Wir haben noch eine Stunde. Ich friere am ganzen Körper. Werde ich diese Stunde überleben? Ich muss. Es sind meine letzten Momente mit dir.
    Du hast von Flucht gesprochen, aber du bist genauso erschöpft und ausgehungert wie ich.
    Wie werden sie mich töten? Steinigen? Hängen? Zu mein en Lebzeiten ist so etwas in Roswell Station kein einziges Mal vorgekommen.
    »Judith, hast du die Wahrheit gesagt? Hat mein Vater Lottie Pratt wirklich nicht getötet?«
    Ich würde so gerne meinen Hals massieren. »Ich habe dich nie angelogen, Lucass.«
    Ein dunkler Fleck nähert sich langsam auf der Straße, die nach Westen führt. In dieser Richtung stehen auch dein Haus und mein Haus. Oder das, was einmal mein Haus war. Ich beobachte den Fleck.
    Es ist Goody Pruett. Sie hat einen Korb bei sich. Die Sonne zieht schneller über den Himmel als die arme Goody Pruett laufen kann.
    »Warum hatte er dann ihr Kleid in seiner Hütte?«
    Das hatte ich mich auch gefragt. Bestimmt habe ich in der Erinnerung etwas durcheinandergebracht. Als er ihre Leiche zur Hütte brachte … und dann, als er sie zum Fluss trug …
    Goody Pruett kommt über den Dorfplatz auf uns zu. Als sie die Plattform erklimmen will, eilt Horace Bron herbei, um ihr zu helfen.
    »Was gibt es, Mrs Pruett?«, fragt er.
    »Ich habe Suppe für die beiden dabei. Sie sind erschöpft und es ist viel zu kalt, um so lange an einem Fleck zu stehen. Sie brauchen etwas Warmes im Bauch.«
    Der Duft der Suppe steigt mir in die Nase. Das Wasser läuft mir im Mund zusammen. Gesegnet sei Goody Pruett. Ich habe Angst, dass Horace Einwände hat. Aber er sagt nichts, sondern sieht nur zu, wie sie das Tuch vom Suppentopf nimmt.
    » Dann machen Sie ruhig weiter«, sagt er und springt vo n der Plattform. »Rufen Sie mich, wenn Sie herunter wollen. Ich helfe
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