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Hymne der demokratischen Jugend (German Edition)

Hymne der demokratischen Jugend (German Edition)

Titel: Hymne der demokratischen Jugend (German Edition)
Autoren: Serhij Zhadan
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jemandem über dein Problem zu reden? Also, antwortete Botkin, ich rede ja gerade darüber. In Ordnung, der diensthabende Verantwortliche ließ ihn nicht weitermachen, wir wollen uns bei Jewhen Petrowytsch für seine Geschichte bedanken. Danke, Jewhen Petrowytsch, fiel das dankbare Auditorium ein, Botkin verbeugte sich in alle Richtungen und ließ sich zufrieden in seinen Sitz fallen. Wie fandest du das? – fragte er Gabriel, jetzt bist du dran. Ich? – Gabriel erschrak. Ja ja, ermunterte ihn Botkin, das Wichtigste hier ist Selbsttraining, also schieß los. In Ordnung, fuhr Julij Jurijowytsch fort, wer ist der nächste? Sie vielleicht? – er schaute auf Gabriel. Gabriel zögerte, in seinem Rücken erklang jedoch wohlwollendes Gezischel, also stand er auf. Ich heiße Tolik Gabrilenko, sage er, eher zum Verantwortlichen als zum Auditorium. Hallo, Tolik Gabrilenko, eine neue Welle des Wohlwollens schlug ihm in den Rücken. Ich bin Alkoholiker. Anonymer Alkoholiker, verbesserte ihn der diensthabende Verantwortliche. Wieso anonym? – Gabriel war beleidigt. Ganz normal. Ist es schon lange her, daß Sie gemerkt haben, der Alkohol steht Ihnen im Weg? – fragteihn der diensthabende Verantwortliche. Ja, sagte Gabriel, nein. Sie haben verstanden, Julij Jurijowytsch kam ihm zu Hilfe, daß Sie die Situation nicht mehr unter Kontrolle haben? Natürlich, antwortete Gabriel, natürlich. Und daß der Alkohol wie eine Mauer zwischen Ihnen und Ihren Nächsten steht? – Julij Jurijowytsch wollte immer auf dasselbe hinaus. Aber sicher, bestätigte Gabriel. Als ich geheiratet habe, wollte ich das Geld für den Fotografen sparen. Habe alles selber fotografiert. Also war ich natürlich auf keinem Foto drauf. Meine Eltern nahmen mir das übel, sagten, ich wäre wohl komplett strack gewesen und deswegen auf keinem Foto. Gut, gut, raunte es durch das Auditorium. Und wann haben Sie beschlossen, dem Alkohol zu entsagen? – der diensthabende Verantwortliche unterbrach ihn irgendwie eifersüchtig. Wissen Sie, ich habe es eigentlich noch gar nicht beschlossen. Soll ich Ihnen vielleicht mein Drehbuch erzählen? – fragte er Julij Jurijowytsch. Ihr Drehbuch? – fragte der irritiert zurück. Ja, mein Drehbuch. Ich habe es mir vor ein paar Jahren ausgedacht. Das Drehbuch für meinen zukünftigen Film. Also, ich weiß nicht, der Verantwortliche zögerte, aber das Auditorium raunte wieder wohlwollend, also fuhr Gabriel fort. Kurz gesagt, es wird ein Katastrophenfilm. Ein Katastrophenfilm? – fragte Julij Jurijowytsch immer unsicherer. Ja, ein Katastrophenfilm. Der Held arbeitet als Bibel-Dolmetscher für Gehörlose. Als was? Als Bibel-Dolmetscher für Gehörlose, er ist beim Fernsehen und dolmetscht mit seiner Hände Hilfe Gottes Wort. Eines Tages eröffnet ihm der Priester, den er dolmetscht, ein furchtbares Geheimnis, also offensichtlich steht eine humanitäre und ökologische Katastrophe unmittelbar bevor, und uns alle erwartet das humanitäre Ende. Er schlägt dem Dolmetscheralso vor, die Heilige Schrift für Gehörlose aufzuzeichnen und auf tausend Jahre einfrieren zu lassen. Kurz darauf fällt der Priester unbekannten Übeltätern zum Opfer, aber der Dolmetscher macht die Aufzeichnung der Heiligen Schrift für Gehörlose trotzdem, ich weiß nur noch nicht, welches Medium er benutzt, wahrscheinlich aber DVD . Ja, DVD ist am besten, rief jemand aus dem Saal. Ja, wirklich, am besten DVD , stimmte Gabriel zu, und gibt alles an ein geheimes Labor zum Einfrieren. Die Fortsetzung spielt tausend Jahre später. Die humanitäre und ökologische Katastrophe hat tatsächlich stattgefunden, aber die Zivilisation hat überlebt. Allerdings mit großen zivilisatorischen Verlusten. Was für Verluste genau? – fragte jemand aus dem Saal, der eifrig mitschrieb. Vor allem, erklärte Gabriel, geht die Fähigkeit verloren, kommunikative Zeichensysteme wahrzunehmen. Wollen Sie sagen, rief jemand, daß die Zivilisation die Fähigkeit verliert, die bekannten Zeichen zu dekodieren? Genau, bestätigte Gabriel die geäußerte Vermutung. Was bitte? – fragte Julij Jurijowytsch. Na, die Buchstaben werden wir alle vergessen, erklärte ihm Botkin gereizt, was gibt’s hier nicht zu verstehen? Genau, bestätigte Gabriel wieder, kurz gesagt – infolge der humanitären und ökologischen Katastrophe verliert die Zivilisation das Verständnis für praktisch den ganzen Komplex des sogenannten kulturellen Erbes. Es gibt keine Bücher, keine Zeitungen. – Keine Handys! –
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