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Hymne der demokratischen Jugend (German Edition)

Hymne der demokratischen Jugend (German Edition)

Titel: Hymne der demokratischen Jugend (German Edition)
Autoren: Serhij Zhadan
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Jurijowytsch zog verängstigt den Kopf ein. Sekunde! – reagierte Gabriel, genau das sage ich ja, es geht nicht um den Sinn, sondern darum, es genau wiederzugeben. Es spielt keine Rolle, was Sie eigentlich meinen, wenn Sie in Zitaten aus dem Evangelium reden, Hauptsache, Gott weiß, woher die Zitate stammen. Okay, Julij Jurijowytsch ließ nicht locker, und woher weiß er das? Er versteht das alles doch ganz unmittelbar mit Hilfe seiner, wie Sie sich ausgedrückt haben, Rezeptoren, ohne jeglichen Interpretationskontext. Ganz richtig, stimmte ihm Gabriel zu, aber wie kann er dann diese ganzen, ihrem Wesen nach völlig widersprüchlichen Energieströme verstehen, die ihn tagtäglich in Form von, sagen wir mal, unterschiedlichen religiösen Konzeptionen erreichen? Sie glauben ja wohl nicht, daß es sich beim Gott der christlichen Zivilisation und dem Gott der muslimischen Zivilisation um zwei verschiedene Götter handelt? Sind ja schließlich keine Versicherungsvertreter. Wie also kann er das alles verstehen und auseinanderhalten? Und was meinen Sie, wie er das macht? – fragte Julij Jurijowytsch ratlos. Gabriel machte eine dramatische Pause. Gott hat eben einen Decoder. Deswegen versteht er alle. Das war also mein Drehbuch. Im Mittelpunkt soll diese eingefrorene DVD stehen. Also ich sehe das so, die Heilige Schrift, das ist das Buch der Bücher, stimmt’s? Unddie Zivilisation der Zukunft wird mit Hilfe der DVD der DVD leben. Der Doppel- DVD ! – rief jemand aus dem Saal. Genau! – stimmte Gabriel zu, und das Auditorium klatschte wieder Beifall.
    In der Bar bestellte der vor Anspannung und Aufregung schweißgebadete Gabriel für sich und Botkin je 150 Gramm. Aha, hier sind Sie also? – rief ihnen Julij Jurijowytsch fröhlich zu, der hereinspazierte und sich ebenfalls 150 Gramm bestellte. Botkin schob eilfertig ihre Gläser zur Seite, und Julij Jurijowytsch setzte sich zu ihnen. Schaute sich erst im Raum um, sah dann zum Fenster hinaus und warf Gabriel einen prüfenden Blick zu. Na dann, sagte er, auf die Solidarität!
    Valunja kehrte aus Italien zurück, energiegeladen und sorgenvoll. Alles paletti, sagte er, die Italiener sind geschockt. Diese Szene im Büro des Gewerkschaftsführers hat sie einfach umgehauen. Wir müssen schnell fertigdrehen, Untertitel auf italienisch und ab in den Verleih! Nur – es gibt ein paar Probleme mit dem Drehbuch, sagte er und tänzelte vor Gabriel herum, der mit den Studiokopfhörern auf den Ohren dasaß. Was für Probleme? – fragte Gabriel angespannt zurück. Verstehst du, Valunja wand sich, ich hab dir doch gesagt – mehr nationale Spezifik. Mit gender ist alles in Ordnung, genau das richtige Maß, dazu noch diese Leichen, alles okay. Aber die Spezifik ... Verstehst du, sie sagen, es sind kosmopolitische Typen. Daß sie solchen bei sich daheim auf Schritt und Tritt begegnen. Wirklich? – fragte Gabriel ungläubig, man begegnet dort also auf Schritt und Tritt Gewerkschaftsführern in gelben Perücken, verstehe ich das richtig? Moment,beschwichtigte ihn Valunja, nicht so hastig, vergiß nicht, daß sie es sind, die für das alles blechen. Ich habe lange überlegt, und weißt du, was? – wir brauchen einen Gnom. Für die Spezifik. Dann paßt alles zusammen – Gewerkschaften, gender, Macht des Schicksals. Wir brauchen einen Gnom. Kannst du einen besorgen? Weiß nicht, Gabriel war etwas ratlos, ich werd’s versuchen.
    Am nächsten Morgen fanden sich wieder alle im Studio 3 ein. Sogar der Direktor erschien. Als letzter kam Gabriel, er versteckte etwas hinter seinem Rücken. Valunja, dem das nicht entging, wurde nervös. Guten Tag, sagte Gabriel laut, darf ich vorstellen, das neue Mitglied unseres Kollektivs. Das neue Mitglied versteckte sich hinter seinem Rücken und machte keine Anstalten, hervorzutreten. Also was hast du da? – Vika wurde ungeduldig. Gabriel trat zur Seite und stieß den Buckligen nach vorne. Marta schrie auf. Vika steckte sich nervös eine Zigarette an. Hallo! – der Bucklige grüßte fröhlich in die Runde. Er trug lederne Motorradhandschuhe und ein breites georgisches Käppi. Gabriel fing an zu erzählen, sagte, der Bucklige arbeite als Taxifahrer, aber nur vorübergehend, vorher sei er beim Zirkus gewesen, als Beleuchter, er ist also, sagte Gabriel, einer von uns, ein Kreativer. Gestern hatte er Gabriel nach Hause gefahren, Gabriel hatte ihm vom Projekt erzählt, und der andere war bereit mitzumachen. Vika trat in die Kulissen und drückte ihre Kippe an
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