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Hymne der demokratischen Jugend (German Edition)

Hymne der demokratischen Jugend (German Edition)

Titel: Hymne der demokratischen Jugend (German Edition)
Autoren: Serhij Zhadan
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Kaukasier zu Boden. Die anderen Kaukasier wollten ihm zu Hilfe eilen, aber die ehemaligen Sportler, die man von nichts weniger als kostenlosem Kognak abhielt, wurden zu Tieren und verwandelten den Parkplatz in wenigen Minuten in einen Ort kaukasischen Genozids. Als letzte kamen die Taxifahrer angerannt und machten diejenigen Kaukasier fertig, die noch bei Bewußtsein waren und versuchten, sich zwischen den Rädern ihres Jeeps zu verstecken. Dann nahmen sie den Kognak, setzten den Jeep in Brand und fuhren heim. Ich habe diese Geschichte übrigens von zwei verschiedenen Seiten gehört. Später hat sie mir nämlich auch noch einer der Taxifahrer erzählt. Im normalen Leben ein ordentlicher, ruhiger Typ, aber diese Geschichte erzählte er boshaft und mit grausamen Einzelheiten, betonte mal ein ausgeschlagenes Auge, mal ausgerissene Goldzähne, mal die Verletzungen der Oschwanz-Brüder, die man ins Krankenhaus eingeliefert hatte. Die Miliz schnappte sich Gustav und seine Clique ein paar Stunden später, sie hatten ihren Anteil Kognak bekommen und tranken im nahe gelegenen Park.Man schleppte sie aufs Revier, erklärte ihnen, daß einer der Kaukasier im Sterben läge und daß man sie dann alle einbuchten und das Revier so seinen Jahresplan erfüllen würde. Sie wurden ungefähr vierundzwanzig Stunden festgehalten. Schließlich kam der Revierleiter, sagte enttäuscht, daß der Kaukasier wohl nicht sterben würde, daß die Taxifahrer sich freigekauft hätten und die Sportler über gute Beziehungen zur Munizipalität verfügten, und nachdem er den Skinheads eine Lektion in Völkerfreundschaft erteilt hatte, ließ er sie laufen. Die Clique trottete direkt ins Stadion. Das Spiel haben wir übrigens gewonnen, der Kapitän von »Metallist«, Lascha, schoß das einzige, das siegreiche Tor, und die Clique ging glücklich heim. Am nächsten Morgen erfuhren sie, daß ihr verwundeter Freund in seinem Hauseingang abgestochen worden war. Die Miliz verdächtigte ein paar Studenten, die im Hauseingang des Verstorbenen immer ihren Hasch kauften.
    Gustav aber dachte – klar, daß sie keinen finden werden, niemand findet die Schuldigen, was denn auch für Schuldige. Versuch bloß mal, die Schuldigen zu finden. Wir begraben ihn einfach und gehen wieder ins Stadion. Und fucken irgendwann wieder mit den Kaukasiern rum. Im Prinzip geht das in Ordnung, sie haben ihm zwei Rippen gebrochen, warum sie also nicht fertigmachen danach. Aber Lascha, also der hat gestern ein Tor geschossen, der ist doch auch aus dem Kaukasus, heißt das jetzt – nicht mehr ins Stadion gehen? Gustav wußte nicht mehr, was er denken sollte.
    Zur Beerdigung ging er nicht, auch nicht mehr ins Stadion, und nach einiger Zeit wurde er Volontär bei einer sozialenStiftung und beschäftigte sich mit der Verteilung humanitärer Hilfe aus den USA.
    Ich habe Angst um ihn, sagte seine Mutter zu mir. Solange er hier in der Gegend rumhing und zum Fußball ging, war ich beruhigt, ich sah ja, daß er weiß, was er tut, daß er weiß, wer seine Feinde sind. Aber jetzt habe ich Angst um ihn. Ich bin nicht sicher, daß er Herr der Lage ist. Mir scheint, er hat Angst bekommen und versucht jetzt, sich total abzuschotten. Hat angefangen, für die Amerikaner zu arbeiten. Mir ist so etwas Ähnliches auch einmal passiert – in den Achtzigern, wir waren damals immer auf Tournee, fuhren in einer langen Kolonne, transportierten in unseren Wagen Tiere und Kulissen, machten in kleinen Städten halt, wohnten in billigen Hotels. Ich war absolut unabhängig und tat, was ich wollte. Da aber begann ich ein Verhältnis mit einem Clown, also er arbeitete als Clown. Alles begann, als wir auf Tournee waren. Es war eine komische Phase in meinem Leben, wir spazierten durch staubige, sonnige Gassen, übernachteten auf dem Dach von Zirkuswagen, bumsten auf dem Trampolin, pflegten die wilden afrikanischen Tiere, die alle möglichen ekligen Krankheiten bekamen. Dann wurde Gustav geboren, der Clown ließ mich sitzen, und ich spürte, daß alles anders ist, daß ich nicht mehr Herrin der Lage bin, daß ich beginne, mich vor dem Leben zu fürchten, beginne, mich abzuschotten, etwas zu bauen, Mauern hochzuziehen, verstehst du? Ich glaube, was sie mir sagen wollte, war – solange du frei bist, solange du für deine Taten selbst verantwortlich bist, solange du die Dinge beim Namen nennst, brauchst du dich vor nichts im Leben zu fürchten, es hängt voll und ganz von dir ab, ordnet sich dir völlig unter. Du kannst es
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