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Hymne der demokratischen Jugend (German Edition)

Hymne der demokratischen Jugend (German Edition)

Titel: Hymne der demokratischen Jugend (German Edition)
Autoren: Serhij Zhadan
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Nachricht tatsächlich die letzte für dich sein.
    Tragischer ist eigentlich nur die Sache mit der Knete. Alles, was die Finanzen betrifft, dein Business, deine finanzielle Stabilität, treibt dich in immer dunklere Sackgassen, aus denen es nur einen Ausweg gibt – den schwarzen, unerforschten Raum, das Reich des Todes. Wenn du plötzlich aufwachst und merkst, um weiterzuleben, brauchst du fremde Hilfe, und zwar möglichst von Gott dem Herrn persönlich oder jemandem aus seinem direkten Umfeld. Aber was für Hilfe denn, vergiß das Wort, hast dir alles selbst eingebrockt, alsostrample schön, dabei mußt du gut abwägen – Business und Liebe, Sex und Ökonomie, ja, genau, Ökonomie – diese Prostatitis der Mittelklasse, diese Tachykardie der Währungsbörsenpioniere; ein paar verunglückte Gesetzesvorlagen, und du bist eine Wasserleiche, soll heißen, sie ertränken dich bestimmt, wahrscheinlich in Zement, und die tödlichen, milchkaffeebraunen Zementwellen schlagen über dir zusammen und trennen dich vom Leben und sogar vom Tod, denn in einem solchen Fall verdienst du keinen normalen, ruhigen Tod, da kannst du so viel strampeln, wie du willst, dir ist nicht mehr zu helfen, wie der Vollmond hängen die Schulden über dir; und es bleibt dir nichts übrig, als ihn anzuheulen und damit auch noch die Aufmerksamkeit des Finanzamts auf dich zu ziehen. Wie viele junge Seelen sind verloren, weil sie keinen Business-Plan erstellen konnten, wie viele Herzen hat die Privatisierungspolitik zerrissen; Falten auf den vertrockneten Gesichtern und ein gelber, metallischer Schimmer in den Augen, Resultat eines langen Überlebenskampfes – das ist unser Land, das ist unsere Ökonomie, dein und mein Weg zur Unsterblichkeit, die du spürst, wenn du plötzlich aufwachst und merkst, daß es im Leben nichts gibt als deine Seele, deine Liebe und, fuck, deine Schulden, die du nie zurückzahlen kannst, wenigstens nicht in diesem Leben.
    Davon laßt uns reden.
    Die Geschichte vom Klub hat mir einer seiner Gründer höchstpersönlich erzählt, ich hatte schon von ihnen gehört, war aber nie einem über den Weg gelaufen, was angesichts der spezifischen Ausrichtung des Ladens auch kein Wunder ist. Gerüchte vom ersten offiziellen Schwulenklub machtenschon seit ein paar Jahren die Runde, wobei aber immer unterschiedliche Namen und Adressen genannt wurden, und weil niemand genau wußte, wo er sich befand, verdächtigte jeder jeden. Am häufigsten wurde der Klub im Stadion erwähnt, die rechtsgerichtete Jugend der Stadt verurteilte das Entstehen solcher Etablissements aufs schärfste und gelobte, den Klub niederzubrennen und die Schwulen, die sich dort zu ihren sogenannten Partys trafen, gleich mit. Einmal, in der Spielzeit 2003/2004, legten sie Feuer im »Burattino«, einer Kneipe beim Stadion, aber die Miliz brachte diesen Vorfall nicht mit dem Schwulenklub in Verbindung, logo – wie kann das »Burattino« denn ein Schwulenklub sein, wo doch schon der Name fremdenfeindlich ist. Andererseits wurde der Klub oft in den Medien erwähnt, in verschiedenen Kultursendungen und Reportagen über die wilde Klubszene unserer Stadt. Meistens erinnerte die Klubszene unserer Stadt an Briefe von der Front – in den Fernsehreportagen erklangen zuerst Trinksprüche, dann Maschinengewehrsalven, und manchmal, wenn der Kameramann seine Berufspflichten nicht verletzte, sich also nicht mit kostenlosem Kognak auf Rechnung des Wirts zudröhnte, erklangen die Maschinengewehrsalven im Rhythmus von Hochzeitsreden und Abschiedsflüchen, und die Leuchtmunition zerschoß den warmen Himmel über Charkiw, ein Feuerwerk zu Ehren von Treue, Liebe und anderen Dingen, die im Fernsehen wenig populär sind. Der Schwulenklub aber erregte gerade darum besonderes Interesse, weil es keine Bilder gab und weil Informationen über direkte Verbindungen zwischen Obrigkeit und Mafia fehlten, es hieß nur, eine Party habe stattgefunden im Schwulenklub, die Gäste hätten sich ordentlich benommen, Opfer seien keine zu beklagen. Zwarmachten auch weiterhin Gerüchte über den Klub die Runde, aber das Interesse ließ nach, was zu erwarten gewesen war – in unserer Stadt gibt es weit interessantere Einrichtungen, zum Beispiel das Traktorenwerk. Und überhaupt – wen interessieren in einem Land mit solchen Auslandsschulden schon die Probleme sexueller Minderheiten. Daß es hieß, der Gouverneur selbst halte seine schützende Hand über den Klub, wunderte auch keinen – etwas anderes erwartete
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