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Licht der Nacht

Licht der Nacht

Titel: Licht der Nacht
Autoren: Uwe Post
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Von den Sternen, aus dem Dunkel
Schein auf uns,
Licht der Nacht
     
     
    Ionisiertes Gas strömte auf konzentrischen Bahnen dem Untergang
entgegen; spiralförmige Wolken in den Farben angeregten
Wasserstoffs: orange, azurblau, flieder. Kulisse für den Tanz
unzähliger Sterne, Sklaven der Gravitation ihres Meisters, der sich
unsichtbar im Auge des Sturms verbarg. Kein Planet war hier je
entstanden, und doch existierte Leben; mit Augen, um das Schauspiel
zu verfolgen, Neugier, dem Universum sein letztes Geheimnis zu
entreißen, Gedanken, schneller als das Licht, bereit, eine
Entscheidung zu treffen.
    Quantenzustände änderten sich, die Gesetze des Universums
reagierten. Physik geschah.
    Plötzlich dieses …
Licht
.
    Es schien immer heller, bis selbst die neugierigen Beobachter
geblendet die Augen schlossen.
     
     
    Etwa 26000 Jahre später
     
    Er spürte, wie das Mädchen kam und zog sich zurück. Zitternd und
schwer atmend lag sie neben ihm. Schwarz verrückte die Leuchter mit
den kohlefarbenen Kerzen, deren tropfendes Wachs das Ritual der
Vereinigung eingeleitet hatte. Dunkelrote Stoffe mit schwarzen,
mystischen Symbolen – Knoten, Spiralen, Zickzacklinien – bedeckten
die Wände, waren Bettzeug, Himmel, Handtuch. Ein Räucherstäbchen
hatte die Luft in eine schmeckbare Suppe transformiert;
»Sandelholz« stand auf der länglichen Pappschachtel, die am Boden
lag, direkt neben der Tätowiermaschine, zu der Schwarz griff.
    »Jetzt hast du dir mein Zeichen verdient«, sagte er.
    Mit geübter Hand brannte er dem Mädchen seine Signatur in den
Rücken. Das dunkle Symbol vereinte Schlangenlinien und den
verschnörkelten Buchstaben S.
    Schwarz kannte den Namen des Mädchens nicht – wozu auch: Sie war
nur eine Autogrammjägerin. Eine von vielen.
    Schwarz drehte sich nicht um, als er einen der Stoffvorhänge zur
Seite schob, den Raum verließ und die Tür hinter sich schloss.
    Er trat auf den Gang des Hauptquartiers, das früher eines der
vielen, rostbraunen Fabrikgebäude gewesen war, die dem Ruhrgebiet
seinen metallischen Ruf eingebracht hatten. Jetzt war es von außen
begrünt und innen rot, schwarz und warm, Heimat eines zentralen
Teils der Schattengemeinde, des Gothic-Netzwerks, der
Online-Gruftis des 21. Jahrhunderts.
    Zwei Zimmer weiter erwartete Schwarz ein Bildschirm mit einem
Passwort-Dialog.
    Benutzername: schwarz
    Passwort: *********
    Mehrere Fenster erschienen. Eines zeigte Videoaufnahmen von
einem Konzert: Nightdawn. Grelle Farben blitzten auf der Bühne, und
als Schwarz die Taste M drückte, zersägten verzerrte Gitarren die
Stille. Die zugehörigen Bilder wackelten und sprangen auf und ab –
viele Zuhörer hatten Netcams dabei, und irgendwo saß ein
dilettantischer Bildregisseur zuhause und mischte die Aufnahmen,
bevor er sie live ins Netz streamte.
    Tajka Sidache trug ein leuchtend rotes Kleid. Sie breitete ihre
Arme aus, um die ganze Schattenwelt zu umarmen, als der letzte
Akkord von »Bringer of Dawn« die Wände zum Schwingen brachten. Das
Publikum brachte seine Ovationen dar, die Sängerin nahm sie
entgegen wie ein Geschenk der Unterwelt, dann trat sie wieder an
ihr Mikrofon. Sie hob eine Hand, und fast augenblicklich verstummte
das Publikum. »Zum Schluss«, sprach Tajka, »spielen wir für euch
hier und alle da draußen ein Lied, das ihr alle kennt.« Die
Zuschauer wurden unruhig, denn sie wussten, was sie erwartete.
Jedes Konzert endete mit der Hymne. Tajka wartete, bis es wieder
etwas ruhiger geworden war. »Ein Lied, das ein Mann geschrieben
hat, den wir alle verehren.«
    Schwarz beugte sich vor, um das Gesicht der Sängerin besser
erkennen zu können, als sie fortfuhr: »Es ist von Dan Schwarz, und
es heißt … «
    »Licht der Nacht«, flüsterte Schwarz.
    Auf dem Bildschirm explodierte Feuerwerk, als das Schlagzeug den
Song begann. Die Rhythmusgitarre hämmerte ihr Motiv in die Köpfe
der Zuhörer in ganz Europa und großen Teilen von Asien. Als Tajka
Sidache beim Refrain ankam, sangen alle mit. Als sie ihn
wiederholte, war manchen Kehlen schon die Kraft ausgegangen, aber
sie schrien trotzdem noch. Und als Nightdawns Leadgitarrist sieben
Minuten später allein auf der Bühne die hypnotisierende Melodie
leise verklingen ließ, war die Gemeinde der Schattenwesen ein
weiteres Mal gewachsen.
    Eines Tages, das fühlten sie alle in diesem magischen Moment,
würde die ganze Welt dazu gehören. Na ja, vielleicht bis auf die
USA.
    Amerika … das neokonservative Amerika hatte die
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