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Licht der Nacht

Licht der Nacht

Titel: Licht der Nacht
Autoren: Uwe Post
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Schwarz.
    Wanda starrte zu ihm hinauf. »Lass uns weiterfahren. Oder doch
lieber zurück?«
    Schwarz zögerte. Vermutlich konnte Olysso seine Fragen sowieso
nicht beantworten. Er musste die Weisen in ihrem Gestell finden.
Ja. Den dreibeinigen Kraken und seine Freunde, die so freundlich zu
ihm gewesen waren, ihm verraten hatten, dass neugierige Wesen das
Licht der Nacht entzündet hatten, dass es das Leben auf der Erde
vernichten würde …
    »Das Fernglas«, sagte Schwarz. »Bitte.«
    Wanda seufzte, dann wühlte sie in ihrem Rucksack. »Hier«,
reichte sie den schwarzen Feldstecher hinauf. »Aber es ist nutzlos,
durch den Nebel kannst du sowieso nichts sehen.«
    Schwarz hielt das Instrument an die Augen. Er
konnte
sehen. Der Nebel hatte keine gewöhnlichen optischen
Eigenschaften. Er war weder feucht noch kühl, und man konnte
beliebig weit durch ihn hindurch sehen. Hinzu kam, dass diese Welt
scheinbar keine Krümmung aufwies, die Luft keine Bewegung, keine
größeren Erhebungen …
    Mit einem Satz sprang Schwarz vom Felsen, schnappte sich sein
Fahrrad.
    »Wohin willst du?«, fragte Wanda.
    »Bridge to Paradise«, rief Schwarz, trat in die Pedale. Wanda
warf sich den Rucksack auf den Rücken, sprang auf ihr eigenes Rad.
»Die Band?«
    »Kennst du den Song
Endless Tower

    »Ja«, antwortete Wanda und fuhr neben ihm her. »Der ist von dir,
oder?«
    »Diese Mistviecher waren die ganze Zeit in meinem Kopf. Sonst
hätte ich nie diese Lieder geschrieben.«
    »Aber … «
    Schwarz zeigte nach vorne. »Der Endless Tower. Ich habe ihn
gesehen. Diese Wichtigtuer saßen in seinem Gerippe, als sie mir von
dem Licht erzählt haben.«
    »Meet your destiny at the carcass of the endless tower«,
zitierte Wanda.
    »Ich fand damals, dass es cool klang«, zischte Schwarz. »In
Wirklichkeit war das keine Inspiration, sondern ein Echo der
Dämonen, die diskutiert haben, wie sie ihr Treffen mit mir
inszenieren.«
    »Glaubst du, sie sagen uns die Wahrheit? Wenn sie überhaupt noch
dort sind?«
    Darauf entgegnete Schwarz nichts. Wortlos trampelten die beiden
Menschen durch die graue Einöde, nur der Sand knirschte unter ihren
Reifen. Als der Turm mit bloßem Auge zu erkennen war, erhöhten sie
das Tempo. Als sie sahen, dass Dämonen in dem rostigen Gerippe
umher kletterten, wurden sie wieder langsamer. Angestrengt
versuchte Schwarz, seine erbitterten Vorwürfe besonders scharf zu
formulieren. Aber als die Fahrräder am Fuß des Turms bremsten,
fehlten ihm die Worte.
    Dafür sprach Wanda. »Ist das hier euer Gewissen?« Sie ließ den
Arm kreisen, meinte die graue Welt. »Dann wundert mich nicht, wie
farblos es hier ist.«
    »Ihr Menschen bringt Farbe hierher«, brachte der dreibeinige
Kraken hervor. »Aber diese Welt ist unendlich groß, deshalb wird es
schwierig, sie ganz mit Farbe zu füllen.«
    »Wo sind die anderen?«, fragte Schwarz.
    »In einer unendlichen Welt ist genug Platz für alle«,
entgegenete der Dämon unbestimmt und wand sich um seine vertikale
Roststrebe.
    »Wenn wir lange genug fahren würden, dann würden wir eine fremde
Zivilisation finden?«, fragte Wanda und streckte den Arm aus.
»Eine, die ihr ebenfalls … gerettet habt? Vor dem Licht der
Nacht?« Sie holte tief Luft. »
Das ihr selbst entzündet
habt?
«
    Schweigen.
    »Natürlich. Das war unsere Pflicht.«
    »Euer schlechtes Gewissen ließ euch keine Alternative«,
schüttelte Schwarz den Kopf.
    »Wir haben einen Fehler gemacht«, sagte der Dämon, während seine
Kollegen begannen, den Turm hinauf zu klettern. »Und wir haben ihn
korrigiert.«
    »Ihr habt unsere Welt zerstört.«
    »Wir haben euch gerettet.«
    »Nur die, die einen Gefährten hatten!«, schrie Schwarz. »Was ist
mit den anderen?«
    »Sie hatten ihre Chance«, entgegnete der Kraken und rollte mit
den kreisrunden Augen.
    »Nicht wirklich«, zischte Schwarz. Wanda griff nach seinem Arm.
»Unsere Fragen sind beantwortet«, sagte sie sanft. »Wir können
nichts mehr ändern.«
    Schwarz sah zu Boden. Seine Kiefer mahlten. Dann fixierte er
noch einmal den Kraken, der sich schon anschickte, den Turm hinauf
zu klettern. »Warum?«, fragte der Mensch den Dämon. »Warum habt
ihr … das getan? Das mit dem Licht, meine ich.«
    »Neugier«, entgegnete der Dämon und schlang seine Beine um die
nächsthöhere Verstrebung. »Neugier ist der Grund, aus dem ihr zwei
gleich nicht in die Richtung fahren werdet, aus der ihr gekommen
seid. Neugier ist manchmal gefährlich. Aber ohne Neugier führt der
Weg nie
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