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Licht der Nacht

Licht der Nacht

Titel: Licht der Nacht
Autoren: Uwe Post
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neu«, sagte Schwarz und holte
sich seine Flasche zurück.
    »Lol«, sagte Gucki.
    Am Fenster kratzte etwas großes, schwarzes. Es war Guckis
Dämon.
     
     
    Sundown saß Schwarz gegenüber und hatte ein Notebook auf den
Knien. Der bleiche Junge drückte ein paar Tasten, und der ins
Notebook integrierte Beamer warf ein neues Diagramm an die rot
bemalte Wand. Resultat war ein Muster-Konglomerat, das entweder
eine steigende Kurve mit unmathematischen Dellen oder einen
übermütigen Drachen von hinten zeigte.
    »Es wird alle Rekorde brechen.«
    »Ich weiß«, sagte Schwarz. Das Fest des Sommers am 21. Juni.
Sonnenwende. Hunderttausend Besucher. Früher waren es nur zehn oder
zwanzig, die heimlich bei den Externsteinen herumgespukt und Orgien
gefeiert hatten. Dieses Jahr: Fünfzehn Bands, live-Übertragung im
Fernsehen und Internet. Organisiert von einem hochintelligenten
Siebzehnjährigen, der einen Teil des Linux-Kernels umgeschrieben
hatte, weil ihm der Code nicht elegant genug erschien. Sundowns
Idee war, dass kein geringerer als Dan Schwarz die
Eröffnungsansprache der Rekord-Veranstaltung halten sollte.
    »Ansprachen will keiner hören«, sagte Schwarz. Er blieb lieber
im Hintergrund. Die Rolle des inoffiziellen Messias der Gemeinde
spielte er unfreiwillig. Er hatte dieses Lied geschrieben, er hatte
die erste Webseite zum gemeinsamen Glaubensbekenntnis eröffnet und
über seinem Firmengebäude waren die ersten Schutzdämonen
aufgetaucht. Und jetzt sollte er vor hundert Millionen Leute
treten, ohne eine Predigt zu halten.
    »Du musst das tun«, sagte Sundown und klimperte mit den Lidern.
Seine Wimpern erinnerten an eine Sammlung historischer Reitgerten
im Maßstab 1:50.
    »Ich weiß«, sagte Schwarz noch einmal.
    Sundown erhob sich. »Ich gebe Gucki Bescheid.«
    »Worüber?«
    »Er soll eine Analyse machen. Eine Benutzerstatistik. Du musst
wissen, was die Leute von dir erwarten.« Damit ließ der Junge
Schwarz allein.
    »Um genau das Gegenteil zu tun«, erklärte Schwarz zu der
geschlossenen Tür.
    Minuten später klingelte sein Handy. Es war Gucki. »Offline«,
sagte er, »komm runter.«
    Schwarz hatte keine Ahnung, wovon Gucki redete. Er machte, dass
er in den Keller kam. Als er die Tür öffnete, stand Sundown gerade
hinter dem Netzwerker und massierte ihm den Nacken.
    »Also was?«, fragte Schwarz.
    Gucki sah nicht von seinem Terminal auf, als er antwortete:
»Connection nach Amiland funzt net. Alles offline.« Sundowns
Gesicht mit den schwarz angemalten Augen nickte bestätigend.
    »Die Amerikaner haben uns isoliert?«
    Gucki grinste, dann drückte er seine dampfende Kaffeetasse an
die Schläfe. »Sich selbst, würde ich sagen.«
     
     
    Am nächsten Tag war Gucki tot. Der Putzroboter schlug Alarm,
weil er das Bad nicht reinigen konnte. Zuviel Blut. Guckis Kopf war
geplatzt. Nicht wegen des Tumors, sondern wegen einer Kugel.
Betreten standen Schattenwesen um ihn herum. Sundowns Schminke war
verschmiert. Tränen. Billige Farbe, made in China.
    »Seine Dämon nikt beschutzte ihn«, sagte June. Ein grünes Band
hielt ihre Rastalocken zusammen.
    »Hat jemand Guckis Dämon gesehen?«, fragte Schwarz in die Runde.
Schulterzucken.
    »Ich frage ein bisschen rum«, murmelte Wanda, drehte sich 45
Grad Richtung Tür, blieb dann aber stehen. Konnte den Blick nicht
von dem Blutbad lassen. Sie streichelte unentwegt ihren langen,
pechschwarzen Haarzopf.
    June starrte auf den nackten, schlaffen Körper. »Was war seine
riktiger Name?«, fragte sie.
    »Gucki«, sagte Schwarz fest.
    Jeder Mensch spielte eine Rolle. Was dahinter steckte, war
irrelevant. Demzufolge zählte auch nur der Name der Rolle. Der
Nickname. Der Name, den sich der Träger selbst ausgesucht hatte,
nicht der, den seine Eltern ihm gegeben hatten, ohne die geringste
Ahnung haben zu können, welche Rolle der neue Mensch spielen
würde.
    Die Amerikanerin berührte Schwarz' Schulter. »Du heißt auk nikt
Schwarz. Du heißt Daniel Galding.«
    »Ich werde gerne versuchen, Dir den Unterschied zu erklären.
Kein Galding würde je sagen, was ich jetzt sage. Nämlich: Komm
mit.« Sie fuhren in seine Wohnung und hatten Sex. Der große Hintern
der schwarzen Amerikanerin fühlte sich sehr afrikanisch an, fand
Schwarz, und er fragte sich, ob er einmal Gelegenheit bekommen
würde, Schwarzafrike zu besuchen.
    Nachdem er gekommen war und sich von June gelöst hatte, tat er
so, als würde er schlafen. Er konnte hören, wie June sich
Taschentücher zwischen die Beine
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