Hymne der demokratischen Jugend (German Edition)

störte der Umstand, daß sie dort alle kannten, daher entschied er sich für die Studentin vom Konservatorium, bat die ehemalige Prostituierte aber, noch zu bleiben, und soff mit ihr die Nacht durch, wobei sie feststellten, daß sie einen Haufen gemeinsamer Bekannter hatten. Am Tag darauf wurde im Studio die nächste Folge des Frühprogramms für Kinder gedreht. Die Moderatorin, Marta, trug eine gelbe Perücke, tanzte vor den krassen Elefanten im Hintergrund und betete ihrem unsichtbaren Publikum mit kindlicher Stimme die Regeln der Körperhygiene herunter. Marta, sagte Gabriel nach der Aufzeichnung zu ihr, du bist doch eine seriöse Schauspielerin, du hast Talent, eine gute Stimme. Willst du es nicht vielleicht mal mit einem seriösen Projekt versuchen? Was für ein Projekt? – interessierte sich Marta und rückte ihre gelbe Perücke zurecht. Wir drehen einen Film, sagte Gabriel, zusammen mit den Italienern. Und zu welchem Thema? – fragte Marta. Nationale Thematik, erklärte ihr Gabriel, Soziales, Liebe, Reiseromantik, Pasolini,verstehst du? Uns fehlt noch die weibliche Hauptrolle. Für deine Perücke, fügte er hinzu, haben wir auch Verwendung.
    Am ersten Drehtag wollten sie die Szene im Büro des Gewerkschaftsführers drehen. Ein paar Dutzend Schaulustige waren zum Studio 3 gekommen, darunter der Direktor der Fernsehgesellschaft, eine ganze Delegation Feuerwehrleute, außerdem ein paar Fans von »Tante Marta«, die ihr Blumen und Bonbons mitgebracht hatten, aber Gabriel ließ sie nicht ins Studio, das sei nichts für Kinder, höchstens, meinte er, als Statisten. Valunja brachte die von ihm am Vortag geschriebenen Dialoge und zwei Garnituren Lederunterwäsche, die er beim Direktor des Vergnügungsparks ausgeliehen hatte. Den Rest der Kleidung suchte sich Gabriel aus den Requisiten des Kinderfrühprogramms zusammen. Vika und Marta zogen die Lederunterwäsche an, Marta stülpte die gelbe Perücke über, die Feuerwehrleute holten aus ihren Aktenkoffern Wodka und Gurken. Es ging los. Im letzten Moment tauschte Gabriel die Rollen – Vika sollte die weibliche Hauptrolle spielen und Marta den Gewerkschaftsführer. In ihrer gelben Perücke erinnerte sie an den Führer einer Gewerkschaft von Zirkusartisten. Vika, gab Gabriel Anweisungen, du kommst ins Büro. Du wirst zerrissen von inneren Widersprüchen, kapiert? Nachdenklich streichelst du deinen ganzen Körper. Den ganzen, habe ich gesagt! Gut, jetzt zu dir, wandte er sich an Marta, du bist Gewerkschaftsführer, du siehst, daß sie von inneren Widersprüchen zerrissen wird. Leg dich auf den Tisch! Doch nicht auf den Bauch! Leg dich normal hin, du bist doch Gewerkschaftsführer – Gabriel geriet in Fahrt, und dieAufnahmen wurden ziemlich lebhaft, bis die Feuerwehrleute ihren Wodka getrunken hatten und ins Rampenlicht krochen. Genug für heute, sagte Valunja, und widerwillig verzogen sich alle.
    Wohin mußt du? – fragte Vika ihre Partnerin. Weiß nicht, antwortete Marta, die letzte U-Bahn ist schon weg, vielleicht bleib ich hier und schlaf auf den Requisiten. Komm mit zu mir, sagte Vika und zog sie auf die Straße.
    Dieser Film, sagte Marta, irgendwie komisch, ich versteh das nicht richtig. Sie saßen in Vikas Zimmer auf dem Boden und tranken Portwein, billigen Fusel, den sie am Kiosk gekauft hatten. Also, ich muß zum Beispiel sagen – »versenge mich mit dem Feuer deiner Leidenschaft«. Ich versteh nicht richtig, was damit gemeint ist. Ganz einfach, antwortete Vika, sie sind doch Näherinnen, das ist Fachjargon.
    Ein bißchen später nahm Valunja das abgedrehte Material, sagte, sie sollten auf ihn warten und sich keine Sorgen machen, und flog zu einem Treffen mit den Programmkoordinatoren nach Mailand.
    Der Drehplan war völlig über den Haufen geworfen, von Valunja keinerlei Nachricht, und Sorgen und dunkle Vorahnungen plagten das Team. Marta kehrte zu ihrem Kinderfrühprogramm zurück, Vika kam, wenn es aufgezeichnet wurde, setzte sich ins Studio und spielte mit den Stofftieren, riß ihnen die Rüssel und Ohren ab. Gabriel langweilte sich so ohne Arbeit, ein paarmal nahm er private Aufträge an, ging zu einer Versammlung der Anonymen Alkoholiker. Eshat zwar nichts mit dieser Geschichte zu tun, aber es geschah ungefähr folgendes.
    Eines Morgens traf er in der Gosprom-Kantine Botkin 2 . Botkin war genau wie Gabriel Stammgast in der Kantine, auch er konnte hier seine Getränke anschreiben lassen, und als er Gabriel sah, lächelte er ihn an, so wie ein Stammgast