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Hustvedt, Siri

Hustvedt, Siri

Titel: Hustvedt, Siri
Autoren: Der Sommer ohne Maenner
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um mir ihre Geschäftspläne anzuhören, sowenig optimistisch
war ich gewesen. Die arme junge Frau hatte wenig Zeit gehabt, sich ihrem Schmuck
zu widmen, und die Erfolgsaussichten waren alles in allem dürftig gewesen. Und
dann, aus heiterem Himmel, wie im Roman, vor allem in Romanen aus dem 18. und dem
19. Jahrhundert, war Lolas Patentante gestorben, eine alleinstehende, genügsame
Dame, die fünfzig Jahre lang als Schatzmeisterin am St. Josephs College gearbeitet
hatte, und dieser hinfällige Deus ex Machina hinterließ seinem Patenkind ein vollständiges
Wedgwood-Service und hunderttausend Dollar. (Um fair zu sein, das passiert im realen leben des 20. und 21. Jahrhunderts andauernd; nur in romanen des 20. und
21. Jahrhunderts weniger oft.)
    Und so war
Lola, zumindest eine Zeitlang, reichlich flüssig, und, noch wichtiger, das Geld
gehörte ihr, nicht Pete. In derselben Woche kam die Zusage eines kleinen Geschäfts
in Minneapolis, Lolas Kreationen zu verkaufen. Die Besitzer waren von den architektonischen
Ohrringen eingenommen, vor allem vom Schiefen Turm von Pisa. Freude zog bei den
Nachbarn ein. Wir feierten Freitagabend nach einer harten Woche mit den Hexen (über
die ich später noch berichten werde. Die Chronologie wird als erzählerisches Mittel
bisweilen überbewertet) bei mir. Anwesend waren meine Mutter, Peg, Lola und die
beiden Süßen. Ich hatte auch Abigail eingeladen, aber sie sei zu schwach, sagte
sie, um die Strecke zurückzulegen, obwohl wir anboten, sie die wenigen Meter zum
Haus der Burdas zu fahren.
    Lola trug Pink.
Meine Mutter trug fast den ganzen Abend Simon, und die beiden amüsierten sich prächtig.
Der kleine Mann hörte nicht auf zu singen. Wenn meine Mutter ihm etwas vorsang,
sang er zurück, zugegeben in unkonventionellen, womöglich sogar bizarren Tönen,
aber er sang jedenfalls, und seine geflöteten Entäußerungen sorgten für viel Heiterkeit.
Flora tobte wild und perückenlos durch die Gegend, flüsterte mit Moki und stopfte
sich Kuchen in den Mund. Ich achtete darauf, sie zu umgarnen und zu umschwirren,
damit sie nicht das Gefühl bekam, ihr kleiner Bruder gewönne jeden Wettstreit in
Sachen Niedlichkeit. Peg strahlte. Bei Familientreffen war sie in ihrem Element,
und ihre Anwesenheit versüßte die ohnehin schon erfreuliche Zusammenkunft.
    Ich fragte
Lola, ob Pete auf Reisen sei, aber nein, ihr Mann war zu Hause geblieben. Er hätte
sich als einziger Mann unbehaglich gefühlt, sagte sie, und habe sie gedrängt, allein
zu gehen und sich zu amüsieren. Während Peg und meine Mutter die Kinder beschäftigten,
gingen Lola und ich in das Schlafzimmer, wo wir alle in dem breiten Doppelbett übernachtet
hatten, und sie erzählte mir, dass sie sich anders fühlte, seit sie das Geld hatte.
«Ich habe nichts getan, um es zu verdienen», sagte sie, «aber jetzt, wo es mir gehört,
fühle ich mich irgendwie wichtiger, freier, und Pete ist zufriedener. Es ist, als
könnte er ein bisschen aufatmen und brauchte sich nicht mehr so viele Sorgen zu
machen. Und dann ist da der Artisans' Barn, und auf einmal gefallen denen meine
Sachen, also hält Pete meine Goldschmiedearbeiten nicht mehr für unnütze Bastelei.»
    Wir standen
nebeneinander und sahen aus dem Fenster. Ich hatte mich in den Blick und in den
Sommerhimmel verliebt, besonders wenn die Sonne unterging und ihn in Blau-, Lavendel-
und Rosatönen färbte und ich die Wolkenformationen über dem Feld, dem Wäldchen,
der Scheune und dem Silo beobachten konnte, die mit dem voranschreitenden Abend
schwarz und scherenschnittartig wurden. Eine Studie in Wiederholung. Eine Studie
in Wandelbarkeit. Und Lola sagte, sie werde mich vermissen, wenn ich nach Hause
führe, und ich sagte, ich würde sie vermissen. Sie fragte, was ich mit Boris machen
wolle, ich erzählte ihr von seinem Werben, und sie lächelte. Aus dem Nebenzimmer
hörte ich die Frauen lachen und Flora quietschen und nach einer Weile Simons Weinen.
    Lola und ich
blieben jedoch noch ein paar Sekunden stehen, sahen einfach schweigend aus dem Fenster,
bevor sie zu den Feiernden zurückkehrte, um ihren Kleinen zu trösten.
    Homo homini lupus. Der Mensch ist des Menschen Wolf. Ich
fand den Sinnspruch in einem Werk des großen alten Pessimisten Sigmund Freud, aber
offenbar stammt er von Plautus. Traurig, aber wahr. Sehen Sie sich um. Sehen Sie
sich sogar die jungen Mädchen an, ihren Kampf um Status und Bewunderung, ihre skrupellosen
Methoden, ihre aggressiven Freuden. Während ihre «Ichs» im
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