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Hungerkralle

Hungerkralle

Titel: Hungerkralle
Autoren: Jürgen Ebertowski
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Hand
geschüttelt. »I’m sure, you won’t regret your decision. – Simply call me Bill,
will you?«
    Captain Miller setzte sich auf Gleasons
einladende Geste hin in einen Sessel vor dem Schreibtisch. »Nun, Bill,
begeistert waren meine russischen Kollegen anscheinend nicht, aber das war ja
wohl zu erwarten.«
    Gleason grinste. »Kann ich mir denken.
Warum haben sie uns auch nicht einfach erlaubt, unsere Nachrichten über ihren
Sender auszustrahlen, diese Starrköpfe.«
    »Genosse Stalin hat eben seine eigenen
Vorstellungen, wie man den Deutschen den Nationalsozialismus aus den Köpfen
treibt.«
    »Unseren russischen Waffenbrüdern passt
so manches nicht«, knurrte Gleason. »Aber nicht nur denen. Hier, lies mal, kam
gerade aus Washington!«
    Miller überflog das Schreiben. »Ist mir
auch schon heute früh auf den Schreibtisch geflattert. Unsere ehrenwerten
Abgeordneten werden sich demnächst in Berlin mit den Wirtschaftsexperten der
Industrie die Klinke in die Hand geben können, wenn das so weitergeht.«
    »Right! Und die meisten werden in
Tempelhof landen.«
    Captain Miller schlug die Beine
übereinander und zündete sich eine Zigarette an.
    Gleason tat es ihm nach, dann sagte er:
»Wir brauchen jemanden, der die Herren würdig empfängt. Ich hab da an dich
gedacht.«
    Miller grinste breit. »Und was weiter,
Bill?«
    Gleason räusperte sich. »Äh, es wäre aus
unserer Sicht interessant, wer ihnen von deutscher Seite so alles begegnet.«
    Es bedurfte keiner weiteren Erklärungen.
Die Systematik, mit der die überzeugten Nazis aus dem zaghaft anspringenden
politischen und wirtschaftlichen Leben eliminiert werden sollten, ließ zu
wünschen übrig und geriet bisweilen zu einer Farce. Ehemalige
Reichswirtschaftsführer, durch »Persilscheine« entlastet, begannen schon wieder
ihre Fäden zu ziehen.
    Eine Woche später bekam Major Miller einen wenig
statusgerechten und bis auf Schreibtisch und Armsessel kahlen Büroraum auf dem
Flughafen Tempelhof zugewiesen, aber dank Sergeant Burns’ Organisationstalent
änderte sich das Ambiente binnen weniger Tage. Seine Edith nähte sogar
Kissenbezüge für das Besuchersofa.
    Ende November 1945 las Major Miller
nochmals aufmerksam die Zeitungen der letzten Woche und auch verschiedene
Mitteilungen, die der Magistrat von Groß-Berlin in der deutschen Presse
veröffentlicht hatte: Beim ersten Landesparteitag der Berliner SPD hatten die
Delegierten mit großer Mehrheit die durch die Russen unterstützte
Zwangsvereinigung mit der KPD abgelehnt; der Schriftsteller Friedrich Wolf
hatte vor dem Berliner Kulturbund zur demokratischen Erneuerung Deutschlands
anlässlich der Eröffnung des Nürnberger Prozesses eine Rede gehalten, und der
Alliierte Kontrollrat hatte Richtlinien über die Wiederbewaffnung der deutschen
Polizei erlassen.
    Major Miller durchwühlte nochmals den
Zeitungsstapel, fand unter anderem die Nachricht, dass die Potsdamer Brücke
über den Landwehrkanal wieder für den Verkehr freigegeben war, fand aber keine
aktuellen Artikel über das Problem, mit dem er sich demnächst verstärkt
beschäftigen würde.
    »Just try to dig yourself into
the ›Schwarzmarkt‹ system here in town«, hatte Bill
Gleason angeregt, »there are some strange things boiling
recently in which our Russian friends seem to be involved.«

 
    3. Kapitel
    »Stille
Nacht, heilige… «
     
     
     
    Der Zug hielt mit einem ohrenbetäubenden
Quietschen unter freiem Himmel an einer provisorischen Plattform vor der
zerstörten Bahnhofshalle. Der junge Royal-Air-Force-Pilot im vordersten
Passagierwaggon errötete. Eine Entschuldigung murmelnd, zerrte er den großen
Pappkoffer der Frau aus dem Gepäcknetz und trug ihn sogar noch bis auf den
Bahnsteig. An der Stacheldrahtsperre zum Ausgang wartete bereits Leutnant
Brown, der Adjutant von Brian, auf Vera.
    Es war eine gemischte Gruppe, die am
frühen Abend des 23. Dezember 1945 in Braunschweig den Militärzug bei heftigem
Schneegestöber verließ. Alle hatten ein mehrtägiges Engagement anlässlich der
Weihnachtsfeiern bei den in Berlin stationierten britischen Truppen hinter
sich. Colonel Brian Teasdale war es dank seiner Beziehungen wieder gelungen,
der Gruppe unbürokratisch schnell die notwendigen Reisepapiere zu beschaffen.
    Vera und Anke, eine dänische Akrobatin,
hatten in Gatow eine Schleuderbrettnummer vorgeführt, Boris, ein polnischer
Musikclown, und sein deutscher Partner, Franz, ein Virtuose auf allen
Blasinstrumenten, englische Evergreens
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