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Hundszeiten: Laura Gottbergs fünfter Fall

Hundszeiten: Laura Gottbergs fünfter Fall

Titel: Hundszeiten: Laura Gottbergs fünfter Fall
Autoren: Felicitas Mayall
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spürte dem zarten Lufthauch nach, der von der weit offenen Balkontür zu ihr drang, und ließ an der Spüle Wasser über ihre Hände und Unterarme laufen. Lauwarme Brühe, die selbst nach ein paar Minuten kaum kälter wurde. Im Kühlschrank fand sie einen Krug mit eiskaltem Wasser, füllte damit ein Glas und trat auf den kleinen Balkon hinaus.
    Eigentlich war es eine klare Nacht, aber sogar bei Dunkelheit blieb ein Rest des Hitzesmogs über der Stadt hängen und verschleierte die Sterne. Laura trank in kleinen Schlucken und ließ die kühle Flüssigkeit langsam durch ihre Kehle rinnen. Seltsamerweise bekam sie Gänsehaut davon.
    Finsternis lag über dem Geviert der hohen Stadthäuser. Niemand außer Laura schien wach zu sein. Die Petunien in den Balkonkästen verströmten einen süßlichen Duft. Laura lehnte den nackten Rücken an die raue Hauswand. Wieso hatte sie von dem Frosch geträumt? Sie hatte bisher immer nur dann von ihm geträumt, wenn etwas in ihr gründlich aus dem Gleichgewicht geraten war. Froschalarm. Das letzte Mal, als sie sich von Ronald getrennt hatte, vor vier Jahren.
    War denn etwas aus dem Gleichgewicht geraten? Abgesehen vom Klima? Lag es an diesem diffusen Gefühl von Bedrohung, das in der Stadt herrschte und von den Medien geschürt wurde? Rapider Anstieg der Todesrate, Kolibakterien in Schwimmbädern und Seen, drohende Epidemien von Gehirnhautentzündung bis Salmonellen, Trinkwassermangel, steigende Gewaltbereitschaft, Smog, Fahrverbote.
    August in München. Eigentlich die beste Jahreszeit. Die halbe Bevölkerung machte Urlaub. Lauras Kinder, Luca und Sofia, waren seit einer Woche in England, machten Sprachferien mit Familienanschluss. Das hatte sie fast ein Monatsgehalt gekostet. Taschengeld spendierte zum Glück Lauras Vater Emilio. Von Ronald, ihrem Ex, gab es nur gute Ratschläge. Immerhin hatte er Luca und Sofia zum Flughafen gebracht, weil Laura sich nicht freinehmen konnte.
    Sie hatte sich auf diese vier Wochen Freiheit gefreut, darauf, ihren eigenen Rhythmus leben zu können – abgesehen von der Arbeit natürlich.
    Bisher lebte sie noch gar nichts.
    Es war zu heiß, um irgendwas zu tun. Und sie wollte gar nichts tun. Nicht einmal fernsehen. An den letzten Abenden hatte sie sich dabei ertappt, dass sie stundenlang untätig herumsaß. Mit leerem Kopf. Es war nicht unangenehm, nur erstaunlich. Es schien, als hätte sie in all den geschäftigen Jahren, die hinter ihr lagen, ihren eigenen Rhythmus vergessen. Und nun wartete sie darauf, dass er sich wieder einstellte.
    Sie ging in die Hocke, lehnte ihre Stirn an das kühle Balkongeländer und schaute zwischen den Gitterstäben hindurch. Eine sanfte Vorahnung der Morgendämmerung zeigte sich am Himmel. Wie lange hatte sie die Sonne nicht mehr aufgehen sehen, bewusst aufgehen sehen? Sie konnte sich nicht daran erinnern.
    Plötzlich wusste Laura, was sie tun wollte. Am Fluss entlanggehen und die Sonne aufgehen sehen. Während sie sich anzog, dachte sie kurz daran, ihre Dienstwaffe einzustecken, nahm sie sogar in die Hand, legte sie aber wieder weg.
    «Sonnenaufgang, kein Einsatz!», murmelte sie und lächelte über sich. Sie bürstete flüchtig ihre Haare, ohne dabei in den Spiegel zu schauen. Im Treppenhaus dachte sie wieder an den Frosch. Beinahe wäre sie gestolpert. Als drängte er sich vor.
    «Gut», dachte sie, als sie auf die Straße trat. «Vielleicht willst du nochmal hören, dass es mir leidtut. Dass ich dich nie vergessen werde, dass ich mich schäme. Dass ich etwas begriffen habe, damals, und dass ich dir dafür danke, obwohl es dir nichts mehr hilft.»
    Er war noch immer da. Ein fetter grüner Frosch, dem die Eingeweide aus dem Maul hingen. Und die anderen Kinder, verschwommene Gestalten, die stumm dastanden und ihn anstarrten. Das hatten sie nicht gewollt. Oder doch? Sie hatten ihm nur ein Haus bauen wollen. Eins aus Moos und Stöcken. Aber er wollte das Haus nicht, blieb einfach nicht sitzen, hüpfte immer wieder weg. Sie holten ihn zurück. Immer wieder. Setzten ihn gewaltsam in das Haus, warfen ihn endlich auf den Boden, immer und immer wieder. Er sollte sitzen bleiben!
    Wie ein Rausch war es über sie gekommen. Plötzlich quollen die Eingeweide aus seinem Maul, und er blieb sitzen, der Frosch. Rührte sich nie wieder.
    Wie alt war sie damals gewesen? Neun oder zehn? Egal. Auch sie hatte den Frosch einmal auf den Boden geschleudert.
    Langsam folgte Laura der schmalen Straße, die zum Hochufer der Isar führte, fing
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