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Hundszeiten: Laura Gottbergs fünfter Fall

Hundszeiten: Laura Gottbergs fünfter Fall

Titel: Hundszeiten: Laura Gottbergs fünfter Fall
Autoren: Felicitas Mayall
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Spiegel blicken, der Fremdenhass wurde durch diese Umfrage in seiner ganzen Irrationalität entlarvt. Diese spielerische Pädagogik scheint umso notwendiger, als die Angst vor Überfremdung nicht nur von unbelehrbaren Radikalen kultiviert wird, sondern zum allgemeinen Lebensgefühl gehört!» Emilio Gottberg sah kurz auf, als der Kellner die große Platte mit Vorspeisen auf den Tisch stellte. «Grazie tanto!», lächelte er und fuhr dann fort: «Ironisch rief das Wochenblatt ‹Leben und Literatur› die Politiker auf, endlich mit den Piresen aufzuräumen. Damit würde das beglückende Bewusstsein, wenigstens das nie Dagewesene besiegt zu haben, die Ungarn zusammenhalten.» Er machte eine Pause und sah Laura und Guerrini über den Rand seiner Brille hinweg triumphierend an. «Das trifft nicht nur auf die Ungarn zu! Es ist genau das, was ich schon immer sage: Erfindet einen Sündenbock, und die meisten werden auf ihn einprügeln! Minderheiten, Außenseiter, Obdachlose, Ausländer … nehmt, was ihr wollt! Es ist immer wieder so, als würde jemand eine alte Truhe öffnen, und heraus kämen die Bakterien der Dummheit und des Hasses. Aber lassen wir das. Ihr wisst es genauso gut wie ich. Außerdem habt ihr es gerade erlebt. Ich wollte euch das vorlesen, weil ich mich darüber freue, dass diese Dinge lächerlich gemacht werden. Dieser Film von Charlie Chaplin … wie heißt er noch?»
    «Der große Diktator», warf Laura ein.
    «Ja, richtig! Der sollte immer wieder gezeigt werden. Aber die Menschen …» Emilio Gottberg seufzte, setzte dann seine Brille ab und betrachtete den Vorspeisenteller. «Wie gut, dass es noch erfreuliche Dinge auf dieser Erde gibt. Guten Appetit, ihr beiden. Wie schön, mit euch zu speisen!»
     
    Viel später, der alte Gottberg lag längst in seinem Bett, bummelten Laura und Guerrini durch die Arkaden im Hofgarten und dann hinüber zu den duftenden Rosenbeeten und den Brunnen. Sie schauten zu den Türmen der Theatinerkirche hinüber.
    «Ich wollte dich etwas fragen», sagte Guerrini im Schatten des kleinen Tempels in der Mitte des Gartens. Draußen beleuchtete der Mond die Sträucher und Beete und die Residenz der vergangenen Könige.
    «Frag.»
    «Wäre es völlig undenkbar für dich, mit mir in Siena zu leben?»
    Laura legte einen Arm um seine Hüfte.
    «Undenkbar nicht, aber unmöglich, Angelo. Ich habe zwei Kinder, die mich noch brauchen. Wenn sie einmal davongeflogen sind und wir uns noch lieben, dann wäre es sehr denkbar.»
    «Mehr wollte ich nicht wissen, Laura. Mir war nur wichtig, dass du es für möglich hältst.»
    «Na ja, Luca ist in gut einem Jahr mit der Schule fertig. Dann wird er studieren und wahrscheinlich ausziehen. Sofia könnte die Schule auch in Siena abschließen, ihr Italienisch ist …» Angelo küsste sie mitten in diesen Satz hinein.
    «Und deine Arbeit?», fragte er nach dem Kuss.
    «Ich halte sie immer noch für sinnvoll, aber muss ein Mensch sein ganzes Leben lang die Bösen jagen? Mir fällt bestimmt noch etwas anderes ein.»
    «Sicher?»
    «Ganz sicher. Hast du das gesehen?» Laura wies nach Norden. «Es hat geblitzt. Ganz weit weg, aber der ganze Himmel ist hell geworden. Wir sollten nach Hause gehen, dieses Gewitter wird ungefähr so heftig werden wie der Weltuntergang.»
     
    Noch später standen sie in Lauras Küche und sahen den Blitzen zu, die den Hinterhof ohne Unterbrechung in flackerndes Licht tauchten. Donnerschläge ließen das Haus erbeben, rasender Sturm schüttelte die Bäume, riss Äste ab und rollte Mülltonnen herum. Qualvoll lange dauerte es, ehe endlich der Regen kam. Erst fiel er als Eis vom Himmel, zerschlug Dachziegel und Windschutzscheiben und erfüllte die Stadt mit unheilvollem Dröhnen. Dann erst folgte der Regen, wild wie die Sintflut. Aber die Luft wurde kühl und frisch. Laura und Guerrini traten auf den kleinen Balkon und ließen sich bis auf die Haut durchnässen.
    Als das Telefon klingelte, kehrte Laura nur widerwillig in die Wohnung zurück. Sie nahm den Hörer ab.
    «Gottberg.»
    «Er wird wahrscheinlich durchkommen», sagte der Arzt. «Sieht so aus, als wäre er übern Berg.»
    «Danke.» Laura legte langsam das Telefon zurück.
    «Ich möchte mit dir nach Rom», flüsterte Guerrini mit jenem heiseren Timbre, das nur Italienern eigen ist.
    «Später», flüsterte Laura und begann sein nasses Hemd aufzuknöpfen.

Quellen
    Das Gedicht von Ingeborg Bachmann stammt aus: Gedichte berühmter Frauen. Von Hildegard von Bingen bis
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