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Hundstage

Hundstage

Titel: Hundstage
Autoren: Walter Kempowski
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    Mit den Pferdemädchen wäre noch einiges in Ordnung zu bringen. «Laßt euch hier nie wieder blicken!», das stand noch im Raum, unbedacht dahingesagt. Das müßte abgeschwächt werden. – Leer würde es sein in seinem Haus, eigentlich schade. So leicht würde eine neue Mannschaft ähnlicher Art nicht aufzutreiben sein, frisches, fröhliches Gefieder, flatternd, gackernd und keck.

    Sassenholz: Da war er wieder, Sowtschick, jugendlich und frisch, voll Spannkraft und Elastizität, fuhr ein in das Dorf, das durch ihn zu Namen gekommen war. Selbst der Tod der zweiunddreißig Bauern hatte es nicht herausheben können aus der Masse der andern Dörfer, in denen vermutlich ebenfalls irgendwann mal Menschen erschlagen worden waren, erst er, Alexander Sowtschick, hatte Sassenholz bekanntgemacht. Noch in hundert Jahren würde im Lexikon nachzulesen sein, «Sassenholz, … eingebettet in Wiesen, Wald und Moor, hier schuf Alexander Sowtschick seine bedeutendsten Werke … ».

    Unter dem Vaterunser-Läuten der Kirche winkte er den Männern zu, die vor dem Gasthaus «Zur Linde» auf der Bank saßen und ihm nachblickten. Auch der Frau des Schlachters winkte er zu, die am Straßenrand stand, mit einem Kind an der Hand. Wenn wieder jemand ermordet worden wäre, dann wären dies Alibizeugen ersten Ranges.

    Alexander bog in die Poggenallee ein, die später vielleicht mal Alexander-Sowtschick-Allee heißen würde, und fuhr an den Flüchtlingshäusern vorüber die Straße entlang, an der sein Haus lag, weiß und vornehm. Die Kirchenglocken läuteten – «Sonntag ist’s in allen Herzen!» – Vor jenem droben steht gebückt, der helfen kann und Hilfe schickt.

    «Flatternd, gackernd und keck», sagte Sowtschick vor sich hin, und er sagte es immer wieder, sich an dem sonderbaren Rhythmus der Worte erfreuend. Ach, es war doch schön, das Leben.

    Als er durch das Tor fuhr – «flatternd, gackernd und keck!» –, merkte er, daß irgend etwas nicht stimmte. Die beiden Schafe kamen ihm entgegen mit nachschleifender Kette, ratlos, und: War das nicht sein Gartenhut, der da in der Linde hing? Und wieso stand unterm Dachjuchhe ein Fenster offen, mit heraushängender Gardine? Wurde hier saubergemacht?

    Sowtschick fuhr das Auto in die Garage und stieg aus. Irgend etwas ging hier nicht mit rechten Dingen zu. Er schloß die Tür auf, und da sah er es schon: Der goldene Barockspiegel lag zerbrochen auf dem Boden, alle Schubladen der Handschuhkommode waren herausgerissen und umgestürzt.

    Diebe? dachte Sowtschick und war baff: Oder gar Mörder? Hatten ihn abschlachten wollen und hatten, weil sie ihn nicht antrafen, ihre Wut «an Sachen» ausgelassen?

    Der Barockschrank stand offen, der Fußboden war bedeckt mit Tischwäsche und zerbrochenem Geschirr, Kaminholz dazwischen, der flandrische Leuchter heruntergerissen und die so lässig geschwungenen Arme verbogen.

    Out! Out! Out!

    Von Zimmer zu Zimmer ging Sowtschick ruhig, fast erstaunt, so etwas hatte er noch nicht gesehen. Der Likör über den Kelim gegossen, vom Siebenhundertachtzig-Mark-Geschirr die Henkel ab! Alle Bücher aus den Regalen gerissen, mit Tomatenketchup bespritzt, Kissen und Polster aufgeschlitzt, den zarten Jugendstil-Stühlen die Beine gebrochen. Der Schafbock im goldenen Rahmen zerschnitten!

    Das hier ist Gumbinnen, dachte er. Der Einmarsch der plündernden, mordenden Roten Armee. Oder Wertheim 1938.

    Im «Studio» sah es am schlimmsten aus. Die Schreibmaschine mit dem Phrasen-und Floskelspeicher war zertrümmert, seine herrlichen Schlachtschiffe, das Paperweight aus Bristol und das Briefmesser mit dem Jadegriff zerstampft, das Konfetti aus dem Locher verstreut. Wie gut, daß er den Wiener Bronze-Hahn verschenkt hatte, der war jedenfalls gerettet. Aber weg war er ja auch …

    Mit Vorschlaghämmern war der Flügel traktiert worden. Manuskriptblätter wehten auf dem Boden, vom Schnee der Kissendaunen umflockt, und, dies gab ihm einen Stich, die Ritterburg war mit Karbolineum übergossen. «De Düwel in de Föör», da lag es, das Buch, auf einem Haufen zertretener Kakteen – vermutlich das Exemplar, das den Mädchen vom Schulmeister verehrt worden war.

    Die Sonne überflutete die Szenerie: Dies ist der Welt Ende, dachte Sowtschick, nun ist alles aus. Keine Wut war in ihm, nicht einmal die Frage, ob eine Versicherung zu benachrichtigen sei oder gar die Polizei, es war eher die Genugtuung des Triumphes, recht behalten zu haben. Ich hab’s ja gleich gesagt, dachte
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