Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Hundstage

Hundstage

Titel: Hundstage
Autoren: Walter Kempowski
Vom Netzwerk:
Faust und Arbeiter der Stirn, die nun die Spuren beseitigen mußten, die Menschheit an der See zurückläßt, zerdrückte Bierdosen, gebrauchte Kondome, zerrissene Plastikplanen. Und in der silbrig glänzenden Bucht, in der bereits ein kühler Wind den Herbst ankündigte, braun-schwammig die Urlaubskloake, von schaumigen Algen aufgefressen.

    Es regnete, und gleichzeitig schien die Sonne. Irgendwo muß jetzt ein Regenbogen sein, dachte er. Die Versöhnung Gottes mit den Menschen.

    Er suchte sich Musik im Autoradio. Zunächst hörte er aus Loyalität zum Dritten Programm eine Zirpsache von Couperin, dann offerierte eine alberne Ansagerin «Musik aus Opas Zeiten». Dabei handelte es sich um Schlager, die er als Pennäler gepfiffen hatte: «In meiner Badewanne bin ich Kapitän …»

    «Dumme Kuh!» sagte Sowtschick laut.

    Schließlich geriet er in einen Gottesdienst, in schleppenden Gemeindegesang, und er mußte an ein trockenes Flußbett denken, Millionen runder Kieselsteine, über die ein Lastwagen fährt. Dumme Menschen, die ihr Zelt in dem Flußbett aufschlagen und nicht wissen, daß das Wasser wiederkommt, schwallartig, und sie hinwegschwemmt.

    Sowtschick knipste das Radio aus.

    Auch die «Winterreise» würde vom Publikum angenommen werden, das war bei der Lesung herausgekommen. Sie würde der abendländischen Kultur einen deutlichen Ruck nach vorn verpassen und ihm dazu verhelfen, die Quecksilbersäule seines Kontos nach oben zu treiben. Erst mal die «Winterreise» herausbringen, rund und schier, und dann im nächsten Jahr «Die Drohnin» als Doppelporträt. «Die Drohnin» oder, vielleicht noch besser: «Die Drohninnen»? Auch das ein Geschenk des Himmels! Die Auseinandersetzung eines Arrivierten mit dem sogenannten «Gesellschaftlichen». Seine Kopplung an eine elegante «Drohnin», also Carola Schade, die das Geld zum Fenster rausschmeißt, der er dann einen Tritt gibt, folgerichtig. Die Rückkehr ins unschuldig-einfache Leben, Radieschen, Gurken. Und ein erneutes Geraten an eine Drohnin der untersten Gesellschaftsschicht, die ihn beklaut! Im übrigen heiter, «flockig» die Sache, und ein bißchen frech. Das politische Anliegen einbinden in Erotisches. Bis an die Grenze würde man gehen können, die äußerste Grenze, aber eben nur bis. Das andere wäre der Phantasie des Lesers zu überlassen, mit der würde man rechnen können in diesem Fall.

    Jeden Nachklang fühlt mein Herz
froh und trüber Zeit …

    Das Projekt «Die Drohninnen» hätte den Vorteil, daß man sich engagiert geben könnte: So etwas interessierte die Leute gewiß! Das würde sie erwärmen, vorausgesetzt, daß es ihm gelänge, es so durchsichtig zu machen, wie das Jumbo-Modell bei Pan Am. Schade – als Studienobjekt hatte er die Scherenschleiferin zu früh fahrenlassen. Das war ein schwerwiegender Fehler gewesen, der durch Vorstellungsvermögen und Recherchen nicht auszugleichen sein würde. Es gibt Dinge, die man erlebt haben muß, um sie darstellen zu können.

    «Die Drohninnen», in diesem Titel schwänge auch unüberhörbar etwas Drohendes mit, das gewiß sofort verstanden werden würde. Assoziationen zu den Troerinnen boten sich an…

    Der Regen hatte aufgehört, die Sonne knallte auf die nasse Fahrbahn und glitzerte in den Tropfen, die auf der Frontscheibe zitterten und durch den Fahrtwind allmählich zur Seite geschoben wurden. Sowtschick schlug Rumbatakte ans Steuerrad und sang «La Cucaratscha!»

    Nach einer halben Stunde verließ er den Strom der Auto-Lemminge, die ihrer Heimat ohne erkennbare Gemütsbewegungen entgegenstrebten. Er fuhr unter den sich regenden Eichen der Landstraße dahin, derselben Landstraße, auf der vor hundertachtzig Jahren napoleonische Truppen dahingezogen waren, in die Gehöfte eindrangen und alles plünderten, was zu plündern war. Er kam auch an dem vornehmen Gutshaus der von Barnewitz vorüber, vor dem grade die weißen regennassen Stühle abgetrocknet wurden, und dann fuhr er, Wiesen und Bruch links und rechts, unter Hochspannungsleitungen hindurch, die über das weite Land dahinschwangen, über eine Moorgrabenbrücke hinweg, mit weißem Geländer, ins Dorf hinein. An Rebecca mußte er denken, sie war es, die unter seiner Hand gewachsen war, an das Löwenheckerchen und an die Kanalschwimmerin. Mit Petra hatte er sich am wenigsten befaßt, und das reute ihn. Wie schade, daß er nicht Geduld genug gehabt hatte, die reife Frucht zu halten.

    So verrauschte Scherz und Kuß
und die Treue so
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher