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Hundstage

Hundstage

Titel: Hundstage
Autoren: Walter Kempowski
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Turbo-Mechanismus, dunkelblau lackiert.

    «Laß mich in Ruhe», sagte die Frau und guckte weg. Schließlich stand sie aber doch auf und stieg ein.

    Sowtschick fuhr durch die Straßen, wie’s grade kam. Die grüne Digitaluhr tickte, und aus dem Radio perlte Debussy. Und da saß sie nun also neben ihm, die Sklavin, roch nach Alkohol, und wenn sie sich bewegte, stechend-süß nach Schweiß. Offensichtlich war es ihr egal, was nun passierte. Sie guckte hinaus auf die schwarze Alster, in deren von Infusorien getrübten Schlammwäldern die zueinandergehörenden Fische jetzt gewiß flossenwedelnd nebeneinanderstanden, und Sowtschick fragte sich, ob es nicht besser gewesen wäre, auf dieses Abenteuer zu verzichten.

    «Du hast alle meine Messer ruiniert», sagte er und beschrieb ihr den heißen Tag, an dem sie vor dem Haus die Messer geschliffen hatte. Er beschrieb auch das Scherenschleifer-Auto mit dem mechanischen Schleifstein hinten drin, das sie ja eigentlich kennen mußte und den südländischen Mann, der in seinen Rhododendron uriniert hatte. Es war ihm, als könne er sich durch die Aufzählung dieser Tatbestände legitimieren.

    «Pro Zentimeter fünf Pfennig …», sagte Sowtschick, um sie zu necken. Und sie sagte: «Carlos hat mich rausgeschmissen, ich wär aber sowieso gegangen … Schöne Musik», sagte sie dann, «das kenn ich …», und sie kramte in ihrem Gedächtnis. Sie wußte, daß sie das irgendwann einmal gehört hatte. Die schönste Musik nützt nichts, wenn man nicht weiß, was es ist. Mit dem umwickelten Zeigefinger wischte sie auf dem Armaturenbrett einen Fleck weg: «Mach’s aus.»

    Auf der Straße liefen Betrunkene herum, die das Auto zu stoppen suchten.

    Ein Kinderkarussell mit Erwachsenen drauf, eine Waldstein-Orgel.

    «Hast du Hunger?» fragte er.

    «Ja.»

    Gott sei Dank! dachte Sowtschick, dann haben wir wenigstens was zu tun. Ohne viel zu überlegen, fuhr er in die Lange Reihe. TAUSEND TÖPFE. Er parkte das Auto mitten zwischen die Türknaller, die aus dem Schauspielhaus kamen. Dann ging er mit ihr in eines der einfachen Hotels dieser Gegend, und er machte das so selbstsicher, daß sie ihm folgte.

    Während in den «Vier Jahreszeiten» auf Zimmer 431 der Koselgulden auf dem Nachtschrank stand, saßen sie in einem geblümten Zimmer: Doppelbett, Tisch mit Blümchendecke und zwei Stühlen. Die Blümchengardine, an der sich schon so mancher Freier die Schuhe abgeputzt hatte, war oben an einer Ecke eingerissen, im Aschenbecher lag eine Kippe.

    Die Scherenschleiferin sah Sowtschick an – sie hieß Elvira – und schüttelte den Kopf, als ob sie es nicht glauben kann, daß sie jetzt plötzlich in einem Hotelzimmer sitzt bei einem älteren Herrn.

    In Bottrop hatte sie mal ihre Ferien verbracht als Kind bei einem Onkel, der einen Zigarrenladen besaß, mit Hund. Und die Kunden, die sich da ihre Stumpen kauften, hatten «na, du Kleine?» gesagt.

    Wenn du denkst, der Mond geht unter,
der geht nicht unter, es scheint nur so …

    summte Sowtschick, als er hinunterging in das Restaurant und kalte Frikadellen und eine Pappschale voll Kartoffelsalat besorgte. Als er wieder ins Zimmer kam, saß sie noch immer am Tisch. Es roch streng, und Sowtschick hatte keine Ahnung, was nun werden sollte. Hier hatte er sich wieder mal was eingebrockt? Wär er doch gleich unten geblieben, hätte bezahlt und wär gegangen, den Großzügigen, den Gentleman mimend, der die Notsituation eines Menschenkindes nicht ausnutzt.

    Er stellte ihr die Fourage hin, öffnete zwei Knöpfe seines Afrika-Hemdes, so daß das goldene Kettchen herausrutschte, schleuderte die Sandaletten auf den Fußboden und legte sich, zwei Meter entfernt von ihr, aufs Bett. Hübsch war sie nun wirklich nicht, mittelgroß, rötliches Haar und ein seltsam rundes, von tausend Sommersprossen bedecktes Gesicht. Sie biß in die Frikadelle, wobei es sichtbar wurde, daß ihr ein Zahn fehlte.

    Daß sie nach Holland trampen will, morgen, da hat sie Bekannte, erzählte sie, aber sie weiß nicht, ob die überhaupt da sind, und sie hat die Adresse verloren, aber das kriegt sie schon raus. Kein Problem …

    Woher er die Striemen am Hals hat, wollte sie wissen, was Sowtschick Gelegenheit gab, von Erika zu erzählen.

    Sie hörte auf zu kauen: Die Moor-Sache mit dem Schriftsteller? Davon hatte sie in der «Boulevard» gelesen. Das sei er gewesen? Oder vielmehr nicht gewesen? fragte sie. Dann sei er also Schriftsteller, schreibe richtige Bücher?

    Ja, sagte
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