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Hundstage

Hundstage

Titel: Hundstage
Autoren: Walter Kempowski
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für all die Passagiere, die nach Miami wollen und nicht damit rechnen, daß sie auf einer Autobahn notlanden müssen. Sowtschick dachte an seinen Winterroman und an den Durchblick, den er noch schaffen müßte, damit die Kritiker das überwältigend Kunstvolle an seinem Wundervogel bemerkten. Auch den Deutschlehrern in den Gymnasien käme Durchblick zugute, wenn auch letzte Verschleierungen angebracht waren, damit nicht alle Welt sagte: «Simpel. Was Sowtschick hier auftischt, ist allzu simpel.»

    Vielleicht hätte er Carola doch ein Zeichen geben sollen, einen Wink? Die Lesung war beeindruckend verlaufen, da wäre sie möglicherweise geneigter gewesen? – Wie auch immer, nun war es zu spät. Die schwamm jetzt ab in Richtung Dornhagen. Der würde sie «Carol» nennen und ihr ins Buch schreiben: «Als Dank für unvergeßliche Stunden.»

    Alexander faßte sich ans Herz, dorthin also, wo seine Brieftasche steckte, in der neben den Fotos seiner Familie und einem kleinen Zettel, den er aus den USA mitgebracht hatte, «zwei» verwahrt waren, in nagelneuen Hundertmarkscheinen. Wenn eines dieser Freddy-ähnlichen Ami-Mädchen, die sich hier mit Jungen herumbalgten, von Speiseeis und reschen Salaten, Watteweißbrot und schieren Rindfleisch-Hamburgern genährt, wenn eine dieser Tussis wüßte, daß er hier mit «zwei» in der Tasche und noch ein bißchen mehr spazierenging … Aber nein, auch das würde nichts nützen. Schlagzeuger hätte er sein müssen, oder Rock-Sänger. Einer dieser Typen, die es machten, daß sich Kindfrauen jubelnd auf die Schultern von jubelnden Jünglingen setzten.

    Zählte Geist denn gar nicht? Würde sich denn keine junge Frau gedrängt fühlen, ihre Dienste dem berühmten Verfasser des Buches «Kaum einen Finger breit» anzubieten? Ihn beispielsweise nach Italien zu chauffieren in dieses kleine Dorf da, wie hieß es noch, wo die Betten so schauderhaft gewesen waren und die ganze Nacht der Krach?

    Er kam am Alsterhaus vorbei, an der bewußten Stelle, wo die Scherenschleiferin auf dem Pflaster gesessen hatte. Links und rechts in den Schaufenstern exzentrisch drapierte Modepuppen, zu frenetisch grinsenden Gruppen formiert. Sowtschick blieb stehen und betrachtete das Pflaster. Wer hier ein Mikroskop zur Hand hätte und Kriminalist wäre, der würde eventuell noch Fasern, winzige Abschabungen der weißen Cordhose ausmachen können.

    «Haben Sie etwas verloren?» fragte ihn ein älterer Herr, der hier mit seinem Hund spazierenging.

    «Ja und nein», antwortete Sowtschick, «wie man’s nimmt.» Irgend etwas Warmes hätte er gern im Arm gehalten, einen Kopf auf der Schulter und ein Ohrläppchen zwischen den Fingern. Damals in der Rhön, dies komische Gasthaus da, wo er mit Marianne einen ganzen Tag im Bett gelegen hatte, der erste gemeinsame Urlaub … Es hatte geregnet, und sie hatten unter einer Decke gelegen. Und in der Karibik, der einzig schöne Abend an Deck, zusammengedrängt, und das leise Plätschern des Wassers? Es hatte schöne Stunden gegeben, sogar in Burgund, in Tournus zum Beispiel, als Marianne, den Kunstführer in der Hand, angesprochen wurde von einer Dame, ob sie nicht auch meint, daß das da hinten Alexander Sowtschick ist? Oder Cluny, wie sie um die Ecke kamen und dachten: Das Kloster steht noch!

    Sowtschick kehrte ins Hotel zurück. Vom Portier wurde er herbeigerufen, der hatte sich inzwischen sein letztes Buch besorgt und bat um eine Signatur.

    Im Foyer der «Vier Jahreszeiten» saß keine sogenannte «Edelnutte» herum in weißem Leder wie in Frankfurt, letztes Jahr während der Buchmesse. Immer hatte er sich aus Studiengründen mit so einem Menschenkind mal befassen wollen, und nun war es zu spät. Nun würde man sich teuflische Viren einhandeln und einen mittelalterlichen Tod.

    Sowtschick signierte das Buch und beantwortete die Frage, ob er bald mal wieder im Fernsehen auftrete, mit: «Wer weiß?», kaufte die Zeitung von morgen und ging auf sein Zimmer. Der Fernsehapparat würde die Rettung dieses Abends sein.

    Sowtschick wusch sich und machte es sich bequem. Zunächst war eine Sportsendung zu verfolgen. Susanne Weißbach-Grewe, eine Frau also, moderierte Männerfußball: Real Madrid gegen Bayern München. Wie die Deutschen ein Tor nach dem andern schossen, war zu sehen. Zuerst nicht und dann doch. Daß die Bayern unverdient gewonnen hätten, sagte die deutsche Sportmoderatorin am Schluß, und wir sollten allesamt die Daumen drücken, toi, toi, toi! daß beim
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