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Hundstage

Hundstage

Titel: Hundstage
Autoren: Walter Kempowski
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daß er nun doch wohl «auf den Weg machen und ins Horn brechen» müsse, und das verstanden alle; überhaupt, was er leiste, sei ja kolossal, wie schaffe er das bloß alles?

    Sowtschick stand auf, quetschte sich aus seinem Stuhl heraus und verabschiedete sich mit einer allgemeinen Geste. Der Verleger nahm ihn noch eben beiseite, näherte sich ihm auf Nasenlänge und brummte vertraulich: «Wir müsen nun auch bald einen Vertrag machen, ja?» Er langte in seine Jackentasche und drückte seinem Autor ein Kästchen in die Hand.

    «Fabelhaft, wie Sie sich entwickeln», sagte er, «gespenstisch! » Ihm scheine allerdings, ihm deuchte oder ihn dünkte, daß an dem Text noch eine Menge zu tun sei, und: Das Ganze sei ja fast ein Selbstbildnis, also, ob da die Kritik mitmache? Ob er Fingerling nicht lieber einen Maler sein lassen könne, und statt ins Gebirge an die See fahren?

    «Und: Louis-seize? Finden Sie das gut?»

    Kaum freigegeben, wurde Sowtschick von seinem Freund gestoppt, der sich bereits eine Pfeife angezündet hatte. Er sagte allerhand Angenehmes über die Lesung, und er legte sogar auf goethische Art Daumen und dritten Finger zusammen zu einer Geste des Entzückens. Vor allem habe ihm gefallen, daß Sowtschick in diesem Selbstbildnis auch selbstkritisch habe sein können. Er habe gar nicht gedacht, daß Sowtschick imstande sei, sich selbst auf die Schippe zu nehmen…

    Dann schwärmte er von «Gabriela, dem schönen Kind». Die Sache sei noch absolut nicht ausgestanden, da seien noch Weiterungen in Sicht. Ob Sowtschick ihre Gedichte gelesen habe? Zum Kotzen, nicht?… Dann erbat er, der von den Mädchen bereits ein «Schlimmling» genannt worden war, Auskunft über Frau Schade, ob Sowtschick meine, daß das Zweck hat? Wie sei die denn so? Ob die etwa auch dichte?

    Bevor Sowtschick ins Freie gelangen konnte, vertrat ihm Röwekamp den Weg. Der wollte auch noch einen Eintrag in sein Gästebuch.

    Weh, nun ist all unser Glück dahin …

    schrieb Sowtschick hinein, ohne daß er recht hätte sagen können, weshalb. Dann reichte ihm der Buchhändler noch einen alten Brief. Den habe er im Nachlaß seines Vaters gefunden. Ob Sowtschick sich erinnere?

    O ja, Alexander erinnerte sich. Das war diese peinliche Sache gewesen. Nicht sehr angenehm, jetzt daran erinnert zu werden.

    Scherenschleifer war mein Vater
in dem großen Welttheater …

    Draußen wehte ein lauer Wind. Die angestrahlten grünen Türme der Marienkirche standen leuchtend vor einer schwarzen Wolkenwand. Sowtschick ließ sich von Hessenbergs Chauffeur zum Hotel fahren. Der Fahrer, ein Mann, der «Herr Bosse» hieß, erzählte wortreich, daß Hessenberg sowieso in Hamburg zu tun gehabt habe, und da sei es doch wohl klar wie dicke Tinte gewesen, daß man sich bei der Gelegenheit auch die Lesung anhört. Das ist dann ja ein Abwasch. Er holte aus dem Handschuhfach ein Hardcover-Exemplar von «Kaum einen Finger breit» und bat um eine Unterschrift.

    Das rührte Sowtschick. Dieser einfache Mann scheute also nicht die Ausgabe von achtunddreißig Mark, um eines seiner Bücher zu besitzen. – Erst wesentlich später fiel ihm ein, daß es sich dabei vermutlich um ein Freiexemplar der Firma handelte.

    I rgend etwas mußte dieser Tag doch noch hergeben, fragte sich Sowtschick. Er zögerte, in das Hotel zurückzukehren. Er ging statt dessen noch einmal «um den Block».

    «Alexander!» hörte er seine Mutter rufen, und er sah sie die Hände heben, als wollte sie sagen: «Wenn das man gutgeht …

    In der lauen Nachtluft stand junges Volk beisammen: Amis, vielleicht ein Schüleraustausch, aus Kalifornien? Santa Barbara? Von den Klippen lassen sich die roten Drachenflieger hinabgleiten, und dann ziehen sie ihre Kreise wie Raubvögel … Zwei Jungen rangen miteinander, drängten sich gegen das Geländer der Alster, und die Mädchen schrien auf!

    Sie wissen nicht, daß das Wasser nur eins fünfzig tief ist, dachte Sowtschick.

    Ein Messergeschäft mit wunderbaren Taschenmessern und Scheren jeder Größe, rechteckigen Hackmessern und Skinnern, die in den Stiefel zu stecken sind, ein Tabakladen, bei dem Sowtschick wegen der schönen Zigarren bedauerte, nicht mehr zu rauchen, eine Apotheke, in der Knoblauchpillen angepriesen wurden, damit man hundertfünf Jahre alt wird, wie der kaukasische Greis auf der Papptafel daneben. In einem Schaufenster der Pan Am war das Modell eines Jumbos ausgestellt, halboffen: Wie schön gemütlich es da drin ist: Die behaglichen Sitze
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