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Huehnerhoelle

Huehnerhoelle

Titel: Huehnerhoelle
Autoren: Herbert Beckmann
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konnte. Dinge, die längst erledigt gehörten, doch nun war es einmal so.
    Â»Bruno kam aber nicht. Bis zum Abend blieb er einfach weg.«
    Sie warf ihm jetzt zum ersten Mal ganz offen einen höllenschwarzen Blick voller Enttäuschung, Bitterkeit und Verachtung zu. Er senkte den Kopf und heftete seinen Blick auf Belmondos breit grinsende Visage.
    Â»Kurz nach acht, nachdem ich den Kleinen gestillt und gewickelt hatte, schlief er endlich ein.«
    Sie wusste, dass Bruno bis zur späten Nacht nicht mehr zurückkehren würde. »Aber Bruno würde mich nicht daran hindern, Jens’ Grab an Allerseelen zu besuchen!«, schwor sie sich. »Das war ich meinem Jungen schuldig.« Und ihrer Selbstachtung. »Auch wenn’s keiner versteht. Ich musste das für meinen Jungen tun.«
    Mit einer Mischung aus Wut, Trotz und Entschlossenheit packte sie die längst bereitstehende Tasche mit den Sachen für Jens’ Grab, legte noch eine Taschenlampe dazu und fuhr mit dem Rad zum Friedhof. Es würde nicht länger als höchstens eine Viertelstunde dauern, wenn sie sich beeilte. Maik, selbst wenn er aufwachte, würde nicht lang in seinem Gitterbettchen auf sie warten müssen.
    Sie ließ ihr Rad an einer der Platanen neben dem Haupteingang stehen und eilte zum Grab. Dort stellte sie fest, dass sie zwar an die Kerzen und die feucht eingewickelten Schnittblumen im Silberpapier gedacht hatte, nicht aber an Unkrautstecher und Harke. Sie rannte mit der Taschenlampe über den menschenleeren Friedhof zum Brunnen, fischte die Geräte vom Beckenrand und hastete damit zurück zu Jens’ Grab.
    Sie war schnell damit fertig und spürte, wie sich tiefe Zufriedenheit darüber und Ruhe einstellten. Sie war nicht sehr gläubig, ging nicht zur Kirche, aber sie faltete jetzt die Hände und dachte an den kleinen Vogel, der bei Jens’ Beerdigung damals, verborgen in der hohen Tanne, so munter gezwitschert hatte. Für Jens hatte er gesungen, das hatte sie gefühlt, mochte Bruno hinterher noch so sehr darüber spotten.
    Auf einmal hörte sie schnelle schwere Schritte näherkommen. Der große Mann, der vom Hauptgang aus den Schein ihrer Taschenlampe gesehen hatte, bog mit einem Mal ab und stampfte auf sie zu.
    Â»Wilhelm.«
    Der sich natürlich dafür interessierte, wer sich um diese Zeit vermeintlich am Grab seiner ersten Frau zu schaffen machte.
    Â»Dann erkannte er mich.« Und begann sogleich, sie zu beschimpfen. »Das kannte ich ja schon von ihm.« Es regte sie nicht mehr auf als sonst.
    Aber dann fing er an, sie zu verhöhnen. »Er kam ganz nah und grinste mir frech und versoffen ins Gesicht: ›Weißt du eigentlich, wen Bruno gerade sticht, Vera?‹, lachte er. ›Mit Hanne macht er’s. Hanne Spieker vom Brooker Hof. Jetzt in dieser Minute treiben sie’s bei ihr zu Hause. Während du hier mit deiner albernen Harke auf dem Grab von deinem Bankert fuhrwerkst. Im Dunkeln, mein Gott, wo Allerseelen schon vorbei ist. Du solltest dich lieber mal fragen, was du falsch machst, dass er zu anderen Frauen gehen muss! Statt dich hier lächerlich zu machen am Kadaver deines …!‹«
    Weiter kam er nicht. All die Demütigungen der letzten Jahre, der Schmerz über den Tod von Jens, den sie dem Alten anlastete, lag in dem tödlichen Stoß, zu dem sie ausholte. Ganz mechanisch, wie ohne eigenen Willen, rammte sie ihm zielgenau das pfeilspitze, messerscharfe Gerät, das sie in der Hand hielt, ins wässerig blinkende Auge.
    Â»Es war ganz leicht.« Weil sie es sich seit Jahren vorgenommen hatte. Aber auch, weil er, als sie den Stecher gegen ihn erhob, nicht zurückwich, sich nicht im Ansatz wehrte. Sich stattdessen ans Herz fasste, das Gesicht schmerzverzerrt, die Augen weit aufgerissen wie ein mieser Schauspieler, er wirkte plötzlich völlig hilflos. Wie ein Kind. Wie Jens, als er den Kampf gegen die Krankheit verlor.
    Â»Ich dachte nur: da hinein, mitten ins Triefauge!«
    Er taumelte, rotierte einmal um sich selbst und fiel wie ein gefällter Baum vornüber auf das Doppelgrab, in dem tief unten Lene Kock schon auf ihn wartete (oder auch nicht).
    Vera Kock richtete den kalten Schein ihrer Taschenlampe auf ihn und begriff sofort: »Er war tot. Zuckte nicht mal mehr, als ich ihm gegen’s Bein stieß.«
    Sie nahm – ›ohne Panik eigentlich‹ – ihre Tasche, verstaute Taschenlampe
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