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Huehnerhoelle

Huehnerhoelle

Titel: Huehnerhoelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Herbert Beckmann
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1
    Paul Lanfermann nahm noch einen letzten Lungenzug, bevor er seiner Zigarette mit schwieligen Fingern das Lebenslicht ausknipste. »Ruhe in Frieden!«, brummte er und schnippte den Stummel in einem schlappen Bogen auf ein mit frischen Astern geschmücktes Grab, an dem er gerade vorbeistiefelte.
    Vennebecks Friedhofsgärtner war wie immer früh unterwegs. Es war der Morgen nach Allerseelen, kurz vor acht. Der weiße Novembernebel lag noch über den Gräbern wie ein ewig feuchtes Ruhekissen.
    Lanfermann fröstelte und zog den Kragen seiner verblichenen blauen Arbeitsjoppe eng am Hals zusammen. Er hatte gestern Abend im Brooker Hof wohl einen Korn oder zwei über den Durst getrunken.
    Er blieb stehen, klemmte sich die Mistgabel, mit der er ein Rattennest am Ende des Hauptgangs ausheben wollte, unter die Achsel und zündete sich eine neue Zigarette an. Die wärmte zwar auch nicht, vernebelte aber den Pestgestank, der über den Gräbern hing. Wie über ganz Vennebeck.
    Er sog den Rauch tief ein und nahm noch einen kleinen Nachschlag aus dem sich kräuselnden blauen Dunst, der von der Spitze seiner Selbstgedrehten (billiger) aufstieg, als ihm plötzlich etwas Großes, Blaues auffiel. Auf einem der Gräber hinten, ganz in der Nähe des Hauptwegs. Etwas, das dort auf keinen Fall hingehörte. Ja verflucht, sollten die Rattenviecher jetzt schon herrenlose blaue Müllsäcke von den Häusern verschleppen, um ihren Inhalt genüsslich auf den Gräbern zu verspeisen?
    Nicht mit ihm!
    Er klemmte sich die Zigarette fest zwischen die verkrusteten Lippen und schritt entschlossen auf das verunstaltete Grab los, die Mistgabel mit beiden Fäusten im Anschlag. Der helle Kies knisterte und knirschte unter dem strammen Schritt in seinen klobigen Gummistiefeln. Er hatte jetzt keinen Blick für die frischen Chrysanthemen-Sträuße und Astern auf den Gräbern. Das Rattennest beherrschte seine Ganglien. Er würde es jetzt ein für alle Mal ausheben, jedes Mistvieh einzeln aufspießen, ihnen die Bäuche aufschlitzen, die Gedärme rausreißen, na wartet!
    Er hatte sich bereits in einen hübschen, Kreislauf fördernden Blutrausch hineingesteigert, als er einen guten Steinwurf vor dem Grab erkannte, dass da gar keine Ratten waren. Und es lag auch kein blauer Müllsack dort auf Lene Kocks Grab. Sondern ein Mann. In einem dunkelblauen Anzug. Er lag mit dem Bauch auf den schneeweißen Kieselsteinen, das Gesicht lotrecht nach unten, als wollte er mal ins Grab unter sich schauen. Der schüttere graue Haarkranz um die Halbglatze herum zitterte leicht im Wind.
    Paul Lanfermann entspannte sich und verlangsamte das Tempo. Bloß irgendein Vennebecker, ein Saufbruder, der erst am frühen Morgen den Kneipenausgang gefunden hatte und bei der Abkürzung über den Friedhof an einem Grabkreuz hängen geblieben war. Oder so ähnlich.
    Er senkte die Mistgabel, nahm die Zigarette aus dem Mund und rief den Mann an: »He, geh nach Hause, schlaf deinen Rausch aus, Junge!«
    Nichts, keine Reaktion. Der dicke, große Saufkopf im blauen Anzug lag wirklich stumm und steif da wie ein Müllsack am Straßenrand. Mann, Mann, Mann, hatte der geladen!
    Paul Lanfermann stiefelte langsam weiter auf das Grab zu, auf dem der Dicke es sich gemütlich gemacht hatte. Er beugte sich über ihn und rüttelte an seiner Schulter. »He, aufwachen, Kollege!«
    Der Mann gab keinen Mucks von sich, steif wie ein nass gewordener Sack Zement lag er da und schnüffelte an den Kieseln. Lanfermann berührte jetzt mit einer Hand den Kopf – uah, eiskalt! – und drehte ihn leicht. Ein graues, wie mit Reif überzogenes Auge glotzte ihn an.
    Erschrocken schoss er in die Höhe. Überwältigt von zwei Erkenntnissen gleichzeitig.
    Erstens, der Mann war ja tot.
    Und zweitens, er kannte ihn.
    Â»Kock!«
    Verdammte Hacke, das war Wilhelm Kock! Der Herr Hühnerbaron höchstpersönlich. Mausetot auf dem Grab seiner ersten Frau. Die Nase wie ein Stecken in dem feucht glänzenden Grabteppich aus weißen Kieseln. Als hätte er den Gestank in der Luft am Ende selbst nicht mehr ertragen.
    Lanfermann, der in seinem Friedhofsgärtnerleben schon viele Tote gesehen hatte, erholte sich von dem ersten Schrecken, und sein Gesicht entspannte sich wieder. Er schnippte die halb gerauchte Zigarette fort (»Ruhe in Frieden«), und zum ersten Mal seit vier Jahren sog er

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