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Hühnergötter

Titel: Hühnergötter
Autoren: Birgit Lautenbach
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hinüber so behutsam, als könne sie jetzt noch Schaden nehmen. Die Kehle so zugeschnürt, dass die Tränen erst fließen konnten, als Pieplow sie sanft in den Schatten der Birken hinter dem Haus führen wollte.
    »Komm mit raus«, sagte er und legte den Arm um sie, »hier wird gleich der Teufel los sein.«
    davon bekam sie nichts mit. Für Marie blieb die Welt draußen, so weit weg, als ob es das Geschrei und Gedränge am windschiefen Gartentor nicht gab.
    Ostwald prallte wie an einer unsichtbaren Wand zurück, als er um die Hausecke stürmte. »Oh Mann«, stöhnte er und kratzte sich heftig in den Haaren. Schöbel sagte nichts, presste nur lang und zischend Luft aus aufgepusteten Backen. Es gab Bilder, die erinnerte ein Polizist auch nach Jahrzehnten noch, und beide wussten, dass sie gerade vor einem solchen Bild standen.
    Marie holte sich ihr Kind zurück. Küsste Leonies Stirn, ihre Schläfen. Augen, Nase, Mund und wieder die geschlossenen Lider. Sie sog den Geruch in sich ein. Flüsterte ihr Glück in die winzigen Ohren und lächelte schluchzend, als das Kind die Augen öffnete und mit seiner kleinen Hand unbeholfen nach ihrem Gesicht tastete.
    Als Oliver sich zu Marie in das trockene Sommergras kniete, wandte Ostwald sich ab.
    Rettungshubschrauber, Spurensicherung, Pressekonferenz – es gab genug zu tun. Ganz zu schweigen davon, dass sie noch nicht wussten, warum dies alles geschehen war. Aber sie würden es herausfinden.
     

Im September
    »Wie geht es Ihnen?«
    Marie hörte die Besorgnis in Schöbels Frage. Er musterte sie unangenehm eindringlich, sah die Erschöpfung in ihrem Gesicht und das nervöse Zupfen an Leonies Mütze, die sie vom Sessel aufgenommen hatte, bevor sie sich setzte.
    »Gut«, antwortete sie knapp, aber das Lächeln wollte ihr nicht so recht gelingen. Sie wurde das Gefühl von Bedrohung nicht los, obwohl Leonie seit einer Woche wieder in ihrem Bettchen lag. Aber während das Kind mit gleichmäßigen Atemzügen schlief, nur manchmal die Hände rechts und links neben dem Kopf zu Fäusten ballte oder im Traum klagend die Stirn zusammenzog, kämpfte Marie Nacht für Nacht gegen die Angst. Als wenn sich Schleusen gegen eine dunkle Flut nicht wieder schlossen, drängten immer neue grauenvolle Bilder in ihren Kopf und ließen sie aus dem Schlaf hochjagen.
    »Es dauert, bis der Schrecken vorüber ist.« Ostwald schien ihre Gedanken erraten zu haben. »Das ist wie bei einer schweren Krankheit, nach der man nur allmählich wieder auf die Beine kommt.«
    Er sah sie mit ernster Miene an. Vor ihm auf dem Tisch presste er seine Hand mit gespreizten Fingern auf den gewölbten Deckel einer graugrünen Mappe, als wolle er verhindern, dass ihr Inhalt zum Vorschein kam.
    »Aber Sie sind doch nicht extra aus Stralsund hierhergekommen, um zu fragen, wie es mir geht?« Marie versuchte zu scherzen, aber sie hörte selbst, wie verloren und bitter sie klang.
    »Nein.« Ostwald zögerte. »Wir müssen noch einiges klären, bevor wir den Fall abschließen können.«
    Er öffnete die Mappe. Marie erkannte das Bild. Sandra Marwede. Das gleiche Bild wie vor genau dreiundzwanzig Tagen.
    Marie verstand nicht, wozu das nötig war. Warum mussten sie sich wieder und wieder mit dieser Frau befassen? Sogar die Tasche hatten sie identifiziert, mit der Leonie fortgetragen worden war. Sie hatten den Bluterguss auf ihrem Brustkorb zentimetergenau dem Bügel des Gepäckträgers zugeordnet und in Leonies Blut dasselbe Medikament wie bei der Toten gefunden.
    Ostwald kramte in seiner Mappe und zog schließlich ein paar Blätter heraus, eng bedruckte Seiten, an deren Rändern jemand handschriftliche Notizen gemacht hatte. Schöbel schwieg und sah hin und wieder besorgt zu Marie hinüber.
    »Könnten Sie sich kurz fassen mit Ihren Fragen? Meine Frau hat das alles sehr mitgenommen, wie Sie sich vielleicht denken können«, meldete sich nun Oliver in scharfem Ton zu Wort.
    Ostwald nickte verständnisvoll. »Das wissen wir und wollen auch nicht lange stören. Aber leider sind noch einige dinge unklar.« Seine Höflichkeit wirkte wie eine dünne Glasur über seiner bedrohlichen Zielstrebigkeit. Er überließ es Schöbel, Marie im Auge zu behalten, während er Oliver mit teilnahmslosem Blick fixierte.
    »Erinnern Sie sich an dieses Foto?«
    »das will ich meinen. Das haben Sie mir doch schon mal unter die Nase gehalten.«
    Ostwald ließ sich durch den patzigen Ton nicht aus der Ruhe bringen. »Und? Ist Ihnen inzwischen eingefallen, woher
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