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Hühnergötter

Titel: Hühnergötter
Autoren: Birgit Lautenbach
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nehmen. Durch die Fenster ins Innere gucken. Prüfen, ob es bewohnt war. Auf Geräusche achten.
    Und dann?
    Pieplow griff nach seinem Zettelpacken. Was dann war, würde sich finden.
    »Ich muss wieder los«, murmelte er und Hedwig nickte.
    »Sag Bescheid, wenn’s was Neues gibt«, bat sie nur.
    Pieplow merkte nicht, dass die größte Tageshitze vorüber war, dass ein leichter Wind kühl und flach über die Ebene zog und den feinen, bitteren Geruch der Heide in die Seeluft mischte.
    Er schwitzte wie noch nie in seinem Leben. Weil er rennen wollte und stattdessen ruhig einen Fuß vor den anderen setzte. Weil er auf das Haus zusteuerte und am liebsten umgekehrt wäre.
    Ein Feigling, dem seine Heldenrolle drei Nummern zu groß ist, dachte er grimmig, und auch, dass es vernünftiger wäre, ganz vorschriftsmäßig Bericht zu erstatten. Wenn dann etwas schiefging, hatte er wenigstens nicht die Verantwortung.
    Auf dem unebenen Trampelpfad rutschte vor seinem rechten Fuß eine Schlange blitzschnell von einem hellen Sandfleck seitwärts ins Heidekraut.
    Seit der Bunker am Enddorn abgerissen worden war, fand er Schlangen nur noch eklig. Zu Hunderten waren sie zwischen den Zementbrocken hervorgeschlängelt. Ganz kleine, kaum größer als Regenwürmer und irgendwie glasig. Aber es waren auch richtige Kaventsmänner dabei gewesen, aaldick, mit fetten schwarzen Zackenmustern. Daniel in der Schlangengrube, hatte Kästner gewitzelt, als sie das Absperrband um die Baustelle zogen. Sie waren beide froh gewesen, dass sie schwere Stiefel anhatten.
    Es tat gut, an etwas anderes zu denken, und sei es an diese widerlichen Schlangen. Pieplow merkte, dass er ruhiger atmete, obwohl das Haus nur noch wenige Schritte entfernt war.
    Es stand wie verlassen in der Nachmittagssonne. Alle Türen und Fenster waren verschlossen. Die Gauben mit den Läden verrammelt, die eigentlich zum Schutz gegen Herbststürme und Winterfrost gedacht waren, im Erdgeschoss alle Vorhänge zugezogen. Kein Laut war zu hören, jedenfalls nicht aus dem Haus.
    Dass Lachen vom Strand herüberwehte und Schwalben auf den Drähten zwischen den Strommasten zwitschernd Spalier saßen, nahm Pieplow gar nicht wahr.
    Nur die Stille des Hauses und die Reglosigkeit aller dinge um ihn herum. Zwei Gartenstühle, mit der Lehne gegen den Tisch gekippt, als könne es Regen geben, bevor sie das nächste Mal benutzt wurden. Die Holzbank an der Westseite, von der man später am Abend in den Sonnenuntergang sehen konnte. Neben dem Schuppen ein klobiger Hackklotz mit den Spuren unzähliger Axtschläge.
    Sonst nichts.
    Keine Handtücher auf der Leine zwischen zwei Kiefern. Keine sandigen Schuhe auf dem Gitterrost an der Haustür.
    Nur ein paar Steine und Muscheln auf dem Sims vor dem Südfenster. Aber die lagen schon lange dort. Pieplow sah es am feinen Sandstaub, mit dem sie überzogen waren. Innen schwebten Hühnergötter an dünnen Fäden im flirrenden Licht.
    Fast nebenbei und eigentlich nur der Vollständigkeit halber hob er den Deckel der Mülltonne an.
    Es stank erbärmlich, und was dort zuoberst hineingestopft war, sah aus wie ein Kissen. Seidiger dunkelgrüner Stoff mit einer Art Rosenstickerei. Als er es vorsichtig, nur mit zwei Fingern an einer Ecke herauszog, legte er darunter ein Knäuel zerknüllter, stinkender Geschirrtücher frei. Dass die braunen Flecken auf dem gestreiften Stoff nicht von Schokolade herrührten, war Pieplow sofort klar, dazu hätte es die Windel nicht gebraucht, die unter den Tüchern zum Vorschein kam. Er schloss langsam den Deckel der Tonne, neben der das Rosenkissen im dürren Gras liegen blieb, während er reglos dastand und mit angehaltenem Atem lauschte. Aber auch, als er ein Ohr gegen die Haustür und dann an eines der Erkerfenster presste, hörte er nicht das kleinste Geräusch nach außen dringen.
    Und jetzt?
    Er konnte ein Fenster einschlagen. Oder sich mit der Schulter gegen die Tür schmeißen, wie man es in Kriminalfilmen sieht, wenn keine Zeit blieb, um auf richterliche Beschlüsse zu warten: Handeln bei Gefahr im Verzug! Aber was er hier vorhatte, glich mehr einem Einbruch, weil es nichts gab außer ein paar Ungereimtheiten und einen Zeugen, den niemand für voll nahm.
    Und schließlich gab es noch die Hoffnung, dass er den Schlüssel fand. Unter den Steinen rechts und links des Eingangs oder vielleicht auf dem Fenstersims zwischen den Muscheln. Viele Urlauber ließen Schlüssel lieber am Haus, bevor sie am Strand verloren gehen konnten.
    Wenn
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