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Hühnergötter

Titel: Hühnergötter
Autoren: Birgit Lautenbach
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erinnerte. Ein Kellner, der Sandra Marwede einen Kaffee oder einen Salat serviert hatte. Ein Hobby-Ornithologe vielleicht, dem sie vors Fernglas gelaufen war.
    Irgendwas in dieser Art.
    Da konnte er ebenso gut mit Marten beginnen. Wenn es jemanden gab, dem auch die kleinste Kleinigkeit nicht entging, dann war es Marten. Um ein Haar hätte Pieplow das auch in der Dienstbesprechung gesagt. Gerade noch rechtzeitig meldete sich der Typ mit der Sonnenbrille zu Wort und bewahrte ihn davor, sich vor versammelter Mannschaft lächerlich zu machen. Denn Marten befragte man nicht so einfach. Schöbel war schon an ihm gescheitert. Auch Ostwald würde nichts ausrichten, und wenn er sich noch so sehr zur Ruhe zwang.
     

     
    Die Klingel war abgestellt. Pieplow klopfte gegen die braune Holztür. Der Kollege am Zaun hob die Hände halb in die Höhe und zuckte mit den Schultern. »Die müssen da sein«, rief er herüber. »Seit heute Morgen ist keiner mehr aus dem Haus gekommen.«
    Kein Wunder, dachte Pieplow. So traurig hatte Hedwigs Garten noch nie ausgesehen. Zwischen den Stauden lag Müll, irgendetwas Schweres musste in die Dahlien geflogen sein, und von Pieplow waren in den letzten Minuten mindestens zwanzig Bilder gemacht worden. Wie er auf das Gartentor zuging, sein kurzes Gespräch mit dem Kollegen, der Weg über die grauen Zementplatten vor dem Haus, alles schien die Öffentlichkeit zu interessieren.
    »Holt ihr ihn endlich ab?«, fragte jemand. »Wird ja auch Zeit«, setzte eine Frau nach.
    »Wer ist da?«, kam es aus dem Haus, gerade als Pieplow zum zweiten Mal klopfen wollte.
    »Ich bin’s, Daniel.«
    Hedwig blieb unsichtbar, während sie die Tür gerade so weit öffnete, dass Pieplow sich in die diele schieben konnte.
    Martens Mutter sah elend aus. Ihr volles graues Haar war zerzaust, ihre Hände eiskalt. »Komm rein«, sagte sie tonlos, »ich bin in der Küche.« Sie setzte sich an den Tisch zurück und hielt sich die Stirn, als habe sie Kopfschmerzen. Gerne hätte er sich um sie gekümmert, vielleicht etwas Heißes zu trinken gebracht. Oder besser etwas Kaltes, weil die Luft hinter den geschlossenen Fenstern der Küche so stickig war, aber dafür war jetzt keine Zeit.
    »Wo ist Marten?«
    »Wieso?« Sie schien es tatsächlich für möglich zu halten, dass er, ausgerechnet er, hier auftauchte, um Marten abzuholen.
    Er drückte seine Hand beruhigend auf ihre Schultern.
    »Ich will nur mit ihm reden, Hedwig. Es kann sein, dass er uns helfen kann.«
    Sie schüttelte den Kopf. »Das glaube ich nicht. Was soll Marten denn wissen? du hast doch schon mit ihm gesprochen.«
    »Weiß ich. Aber es gibt ein paar Neuigkeiten. Vielleicht haben wir die Frau, die Leonie entführt hat. Wir müssen rausfinden, wo sie gewohnt hat.« Er schob seinen Handzettelstapel in die Tischmitte und tippte auf das Foto. »Oder kennst du sie vielleicht?«
    Aufmerksam betrachtete Hedwig das Bild, bevor sie antwortete: »Nein, die hab ich noch nie gesehen. Wenigstens nicht bewusst. Aber warum fragt ihr die Frau nicht selbst, wo sie gewohnt hat?«
    »Weil sie tot ist. Heute Morgen bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen.«
    »Und was ist mit Leonie?«
    »Ebendas wissen wir nicht. Wir glauben, dass sie noch irgendwo auf Hiddensee ist.«
    »Mein Gott«, sagte Hedwig Buhrow. Und dann: »Marten ist oben. Aber ich weiß wirklich nicht …«
    »Lass man, ich guck einfach mal.« Sie musste ihm nicht erklären, wie er zu Marten kam. Durch die diele, in der es auch im Sommer kühl blieb, die dunkle Holztreppe mit dem roten Läufer hinauf, dessen raue Fasern an den Fußsohlen kratzten, wenn man barfuß war. Oben ging es geradeaus in die Kammer, die sein erstes Quartier auf Hiddensee gewesen war. Rechts davon stand Martens Tür einen Spalt offen. Pieplow hörte ihn leise singen, und das ließ nichts Gutes ahnen.
    Marten sang gegen die Angst, so wie Hedwig es ihm beigebracht hatte.
    Lütt Matten de Has de mok sik en Spaß …
    Wenn du Angst hast, singst du ganz einfach, Marten. Singen hilft. Oder Pfeifen.
    Das Pfeifen lernte Marten nie. Es kam immer nur ein lahmes Zischen durch seine gespitzten Lippen. Aber singen, das konnte er. Immer dieselbe Strophe. Die erste.
    … he weer bi’t Studeern, dat Danzen to lehrn …
    Sein Zimmer war klein. Einen Schrank mit zwei Türen, sein Bett und unter dem Fenster seinen Tisch, mehr brauchte er nicht. Den freien Platz an Den Wänden schmückte er mit den Bildern, die er am Tisch unter dem Fenster malte. Aber nur mit den
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