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Hühnergötter

Titel: Hühnergötter
Autoren: Birgit Lautenbach
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schönen, auf denen die Heide in der Sonne glühte oder viel Winterlicht über zottige weiße Sturmwellen schien. Die finsteren Bilder packte Mutter weg, damit die Treibholzseeschlangen nicht doch noch lebendig wurden oder die Monsterfratzen der Windflüchter ihn nachts, wenn er schlief, nicht anglotzen konnten oder ihn zwischen ihren spillerigen, knotigen Armen festklemmten.
    »Marten?«
    Es war gut, dass er Daniels Stimme gleich erkannte, sonst hätte er sich noch mehr erschrocken, als die Tür leise aufschwang. Marten hörte auf, von einem Fuß auf den anderen zu treten, auch wenn der Körper dann nicht mehr so angenehm hin- und herschwankte. Aber mit dem Singen machte er weiter.
    … un danz ganz alleen op de achtersten Been.
    Dabei starrte er abwechselnd in Daniels Gesicht und auf den Zettel in dessen Hand.
    »Marten, ich will dich was fragen.«
    Lütt Matten de Has …
    »Ich suche eine Frau.« Pieplow merkte, wie albern sich das anhörte. Aber etwas anderes fiel ihm nicht ein. Nur von sich sprechen, die Sätze so einfach wie möglich, nicht das kleinste Zeichen von Unruhe geben – der Schweiß auf seiner Stirn hatte rein gar nichts mit der Sommerhitze zu tun. Er legte den Fahndungszettel zwischen Martens Wachsmalstifte auf den Tisch.
    »Kennst du diese Frau?«
    Kopfschütteln.
    »Du hast sie noch nie gesehen?«
    Nicken.
    »Also hast du sie schon mal gesehen?«, fragte Pieplow geduldig und wie nebenher, während er seinen Blick über die Bilder an der Bettwand schweifen ließ. Er spürte seinen Herzschlag bis in den Hals.
    »Gesehen schon. Aber ich kenn sie nicht. Ihren Namen kenn ich nicht.«
    Pieplow wagte kaum Luft zu holen.
    »Und wo? Ich meine, wo hast du sie gesehen?«
    »da hinten.« Marten streckte den Arm ganz gerade. Sein Zeigefinger wies nach Süden. »Beim Kranichhaus und …« Marten legte die Fingerspitze vor die Lippen, »und in der Kuhle.« das Kichern ließ sich nicht aufhalten, es kam mit einem kleinen Prusten. »In der Kuhle mit Oliver! Nackig!« Marten strahlte. Weil ihm etwas Wichtiges eingefallen war, das sah er an Daniels Gesicht, und weil die Angst auf einmal wie weggeblasen war, obwohl er aufgehört hatte zu singen. Das machte Daniels Nähe. Mit einem Freund neben sich kann einem so schnell nichts passieren.
    Pieplow holte tief Luft und wünschte sich fünf ungestörte Minuten, in denen er überlegen konnte, was Martens Beobachtung bedeutete.
    »Wann war das, Marten?« Pieplow atmete langsam aus. Trotzdem hatte er das Gefühl, sein Kopf würde gleich platzen. »Wann war die Frau mit Oliver zusammen in den Dünen?«
    »Morgens früh.« Sie hatten ihn nicht bemerkt, aber er wusste genau, was er gesehen hatte.
    »War das dieses Jahr oder vor Weihnachten?«
    »Vorher«, sagte Marten prompt. Für ihn teilte Weihnachten die Jahre voneinander, das wusste Pieplow. Die Frage war nur, wie viele Weihnachtsfeste inzwischen vergangen waren.
    »Hast du sie öfter gesehen?«
    »In der Kuhle? Nee, nur einmal morgens früh.«
    »Und sonst?«
    »Wie sonst?«
    »Weißt du, wo sie gewohnt hat?«
    »Im Kranichhaus, oder?« Marten sah Pieplow fragend an. »Da ist sie hingegangen, wenn ich sie gesehen hab.« Zur Bestätigung nickte er ein paar Mal energisch.
     

     
    Das Kranichhaus. Pieplow wusste, von welchem Sommerhaus Marten sprach. Es lag mitten in der Heide, strohgedeckt, mit Gaubenfenstern und den metallenen Umrissen zweier Kraniche auf der weißen Giebelwand. Und es war vielleicht Leonies Gefängnis. Wenn Marten sich nicht irrte. Wenn Pieplow die richtigen Schlüsse zog. Wenn … Pieplow dachte an das halbe Dutzend rostiger Fahrräder, die er inspiziert hatte, bevor sich das richtige fand. An die beiden bedröppelten Kollegen mit Ostwalds Senf auf dem Hemd. Nicht auszudenken, was Ostwald über ihn kübeln würde, wenn er jetzt einen Fehlalarm auslöste.
    Er sah auf die Uhr an seinem Handgelenk, dann auf die große cremeweiße über Hedwigs Küchentür. Als wenn das etwas ändern würde. Es war und blieb kurz nach halb fünf. Sandra Marwede hatte vor fast zehn Stunden das Quartier verlassen und das Schiff ab Kloster genommen.
    Pieplow scheute noch vor dem Plan zurück, der sich in seinen Gedanken zu verdichten begann.
    Wenn er unbehelligt aus dem Haus kam, wenn er Richtung Außendeich ging, ohne Aufmerksamkeit zu erregen, wenn es ihm gelang, seinen Weg über die Heide wie den Routinegang eines Polizisten mit einem Handzettelstapel wirken zu lassen, dann konnte er unauffällig das Haus in Augenschein
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