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Hotzenwaldblues

Hotzenwaldblues

Titel: Hotzenwaldblues
Autoren: Petra Gabriel
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weniger,
aber immer geschmackvoll verhüllten – Busen. Egal, ob Mann oder Frau. Iris
wurde bewusst, dass sie sie noch nie in Hosen gesehen hatte. Linda bevorzugte
weite, schwingende Röcke aus leichten Stoffen oder Leinenkleider mit Jacke und
Ballerinas. Außerdem liebte sie Rosen. Weshalb auch immer mal wieder ein Strauß
in ihre Buchhandlung gebracht wurde – in der Hand eines meist männlichen
Trägers. Linda war so etwas wie ein Quell, aus dem die gute Laune blubberte,
und ständig in Bewegung.
    Deswegen kamen die Leute, unterhielten sich, beobachteten die
anderen, tuschelten, klatschten. Und kauften Bücher. Gut, nicht nur wegen Linda. Aber auch. Sie war einfach
viel zu herzlich, um kein Buch bei ihr zu
kaufen. Manche Kunden, wie beispielsweise der alte Forstweiler, betrachteten
die Buchhandlung gar als ihr persönliches Wohnzimmer und waren sorgsam darauf
bedacht, dass Linda keine allzu großen Neuerungen einführte. Bei Leuten mit
italienischen Vorfahren wusste man ja nie. So tauchte Forstweiler, auf einem
Zahnstocher kauend, jeden Morgen pünktlich um neun Uhr zehn in der Buchhandlung
auf, zwinkerte Linda zu und marschierte schnurstracks zu seinem Stammplatz
hinter dem Paravent.
    Von dem kleinen Cafébereich im hinteren Teil des Buchladens aus
hatte man einen beeindruckenden Blick über den Rhein und über die dicht
gedrängt stehenden mittelalterlichen Häuser mit den Biberschwanzziegeln des
Schweizer Laufenburg hinweg auf die Jurahügel. Allein die Aussicht hätte
genügt, um Gäste anzulocken. Sechs Tische standen dort. Die beiden an den
Stirnwänden waren schon vor längerer Zeit ihrer Stühle verlustig gegangen.
Falls es jemals welche gegeben hatte. Flyer für allerlei Veranstaltungen
stapelten sich darauf und mindestens ebenso viele Touristenbroschüren wie im offiziellen
Verkehrsamt, das im zweiten Haus links hinter dem Laufenburger Stadttor
residierte. Auf dem linken der beiden Tische lagen, von jedem Leser für die
nach ihm Kommenden wieder ordentlich gefaltet und exakt an der rechten äußeren
Ecke platziert, die beiden Tageszeitungen.
    Die »Badische Zeitung« und der »Südkurier« unterhielten
Lokalredaktionen in Bad Säckingen. Deren Redakteure und freie Mitarbeiter
erhellten die Düsternis der Unwissenheit zwischen Wehr und Bad Säckingen zu
dieser Jahreszeit mit Berichten über Gemeinderatssitzungen und Vereinsfeste,
das kommende Sommertheater, Kabarett- und Konzertveranstaltungen und die Zu-
und Abwanderung von Firmen (in der Altstadt meistens Abwanderung). Da das
Verbreitungsgebiet beider Lokalredaktionen auch den Hotzenwald umfasste,
berichteten sie zudem vom Rickenbacher Bürgermeister, der vom anderen Ufer,
aber nicht deshalb seltsam war. Er hatte angeblich auf sich selbst einen
Mordanschlag inszeniert. Und sie schrieben sowohl vom Streit der Gemeinderäte
von Rickenbach und Herrischried um das geplante neue Pumpspeicherwerk bei
Atdorf, als auch von den Befürchtungen der Talgemeinden in Bezug auf die
Verkehrsbelastung durch den zu erwartenden Baustellenverkehr und den möglichen
Verlust von Nah- erholungsgebieten und Quellen. Dazu gab es regelmäßige Artikel
über die Bad Säckinger Montags-Mahnwachen für die Opfer des Tsunamis, der über
Japan hereingebrochen war und das Kernkraftwerk Fukushima verwüstet hatte. War
das tatsächlich erst gut zwei Monate her? Manchmal hatte sie das Gefühl, dass
der 11. März 2011 schon Lichtjahre zurücklag. Auch bei ihr hatte es vor
Kurzem einen Tsunami gegeben. Er hatte sie aus ihrem Büro bei der Lörracher
Mordkommission heraus und als verdeckte Ermittlerin in diese Buchhandlung
gefegt.
    Iris musste schmunzeln. Egal, was sich in der Welt tat, wie viel
Mühe sich die Journalisten auch gaben, die Dramen verständlich aufzubereiten,
besonders ausgiebig wurden jeden Tag die Todesanzeigen im Lokalteil studiert.
Das hatten Untersuchungen des Leserverhaltens ergeben.
    Möglicherweise als Ausgleich für die vielen schlechten Nachrichten
aus der großen und der kleinen Welt hatte Linda an der Decke über dem rechten
Tisch einen ausladenden Kristalllüster à la italienne aufgehängt. Wie um
düstere Gedanken zu vertreiben.
    Iris drehte sich um, ließ den Blick schweifen und bemerkte, dass
ihre neue Chefin sie von ihrem Platz hinter der Kasse aus vergnügt beobachtete.
Linda war nicht sehr groß, das war wahrscheinlich ebenso Teil ihres
italienischen Erbes wie ihr umtriebiges Temperament. Sie maß um die eins
sechzig, konnte ihren Laden aber trotzdem
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