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Hotzenwaldblues

Hotzenwaldblues

Titel: Hotzenwaldblues
Autoren: Petra Gabriel
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unaufhaltsame Aufstieg von Frank
Gerber weitergehen. Als stellvertretender Abteilungsleiter konnte er sich
wegducken, bis der Sturm vorüber war. Um ihre Jobs fürchten mussten derzeit nur
die Führungskräfte oder jene, die auffielen, egal, ob positiv oder negativ.
Fred Malzacher hatte längst verinnerlicht, was auch seine Freunde wussten, ohne
dass sie jemals darüber gesprochen hätten: Im Zweifel gab es bis zum goldenen
Tag der Wiederkehr Wege, Entscheidungen von oben zu unterlaufen und Anordnungen
in einem bestimmten Sinn zu interpretieren.
    Malzacher war glücklich, dass die Welt, in der er sich eingerichtet
hatte, trotz des überraschenden Wahlsieges der Grünen nicht aus den Fugen
geraten war. Er fühlte dieses warme Glühen im Bauch, das sich beim Gedanken an
Sicherheit, Heimat oder Geborgenheit regelmäßig in ihm ausbreitete. Hier und
jetzt, in diesem kühl und geschäftsmäßig wirkenden Raum mit den Tischen vor den
Fensterfassaden und den Flaschenbatterien mit Wasser, Apfel-, Johannisbeer- und
Orangensaft darauf, den Häppchen unter Zellophan und den Männern, die die
Namensschilder an der Brust eigentlich nicht gebraucht hätten, weil die meisten
einander kannten, war der Feind noch immer der Feind.
    Freundlicher, ja durchaus herzlicher Applaus brandete auf, als
Günther Oettinger ans Rednerpult trat und den entscheidenden Satz sprach:
»Diese Option für ein Pumpspeicherwerk ist deutschlandweit einzigartig.« Die
Männer in den Sitzreihen tauschten ein Lächeln aus oder nickten in Richtung des
ehemaligen Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg, der nun seit gut einem
Jahr als EU -Energiekommissar in Brüssel saß und
nach diesem Besuch hoffentlich dafür sorgen würde, dass die Fördergelder für
das Projekt sprudelten. Er hatte versprochen, sich darum zu bemühen.
    Oettinger, erstklassig geschult in der Kunst der öffentlichen Stellungnahme,
gab sich politisch korrekt, während die Journalisten der beiden Lokalredaktionen
vor Ort, Stefan Sahli von der »Badischen Zeitung« und Justus Obermeyer vom
»Südkurier«, notierten, was er außerdem sagte: Er sei zuversichtlich, dass
Franz Untersteller, der neue Umweltminister des Landes, das Vorhaben objektiv
und kompetent prüfen werde.
    Dieses Mal nickte auch Fred Malzacher. Er würde gleich nach dem
Treffen mit Stümpfli telefonieren und es ihm mitteilen. Wenn Oettinger mit
seinem Tross abgefahren und es wieder still geworden war im Infocenter am
Kavernenkraftwerk beim Bad Säckinger Waldbad.
    Zum ersten Mal an diesem Tag grübelte Malzacher darüber nach, warum
das Treffen eigentlich nicht im Firmensitz der Schluchseewerk  AG an der B34 in Laufenburg-Rhina abgehalten wurde,
sondern hier in Bad Säckingen. Das Kavernenkraftwerk musste Oettinger
jedenfalls nicht mehr besichtigen. Es war 1967 gebaut worden. Eine Besichtigung
gehörte seitdem quasi zum Pflichtprogramm eines jeden CDU -Politikers,
der das Schluchseewerk besuchte. Und Oettinger war in seiner Zeit als
Ministerpräsident von Baden-Württemberg oft hier gewesen.
    Vor Beginn der Veranstaltung hatte Malzacher keine Sekunde Zeit
gehabt, um sich mit diesen Überlegungen zu beschäftigen. Er hatte die
Sekretärinnen und Sachbearbeiter dirigieren und die Unterlagen, die vorbereitet
worden waren, wieder und wieder überprüfen und auf Fehler durchsehen müssen. Es
hatte außerdem in seiner Verantwortung gelegen, dafür zu sorgen, dass die 0,4-Liter-Getränkeflaschen
ordentlich auf den Tischen standen, die Gläser sauber waren und die Servietten
bereitlagen.
    Und wieso hatten sie die Zufahrtsstraße dieses Mal derart hermetisch
abgeriegelt? Mit einem Menschenauflauf von Fähnchen schwingenden Bad Säckingern
oder Hotzenwäldern wegen des hohen Gastes war nicht zu rechnen gewesen.
Höchstens mit einigen Spinnern, die an einem Samstag nichts Besseres zu tun
hatten, als sich mit Transparenten an der Zufahrt zu versammeln, weil sie etwas
gegen die Pumpspeicherpläne hatten. Warum also? Fand das Ganze vielleicht sogar
deswegen hier in Bad Säckingen statt, weil sich die Bundesstraße in Rhina, an der seit sechs Jahren der Hauptsitz in den
einstigen Räumen der Energiedienst-Holding lag, nicht so gut sichern ließ? Er
hatte all das zwar unbewusst registriert, aber wieder verdrängt.
    Malzacher schaute sich um. Plötzlich nahm er die verhaltene
Nervosität der Oettinger-Leibwächter wahr. Die Männer und Frauen in
schusssicheren Westen hatten sich in jeder der sechs Ecken des Konferenzraumes
postiert, zwei
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