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Das Jahr der Krisen

Das Jahr der Krisen

Titel: Das Jahr der Krisen
Autoren: Philip K. Dick
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1
     
    Das junge Paar, schwarzhaarig, dunkelhäutig, wahrscheinlich mexikanisch oder puertorikanisch, stand nervös an Herb Lackmores Theke, und der Junge, der Mann, sagte mit leiser Stimme: »Sir, wir möchten schlafengelegt werden. Wir möchten Flakkies werden.«
    Lackmore stand von seinem Stuhl auf, ging zur Theke, und obwohl er Farbige nicht mochte – es schienen jeden Monat mehr zu werden, die in sein Büro in Oakland, eine Zweigstelle des US-Amtes für Spezielle Öffentliche Wohlfahrt, kamen – sagte er in freundlichem Tonfall, der die beiden beruhigen sollte: »Habt ihr es euch genau überlegt, Leute? Es ist ein großer Schritt. Ihr seid vielleicht, sagen wir, ein paar hundert Jahre weg vom Fenster. Habt ihr diesbezüglich irgendwelchen professionellen Rat eingeholt?«
    Der Junge warf seiner Frau einen Blick zu, schluckte und murmelte : »Nein, Sir. Wir haben es nur unter uns ausgemacht. Keiner von uns beiden kann einen Job bekommen, und bald werden wir aus unserem Schlafheim hinausgeworfen. Wir haben keine Karre, und was kann man ohne Karre schon machen? Man kann nirgends hinfahren. Man kann nicht einmal nach Arbeit ausschauen.« Er war kein schlechtaussehender Junge, bemerkte Lackmore. Möglicherweise achtzehn; er trug noch den Mantel und die Hose, die Entlassungsausgaben der Armee waren. Das Mädchen hatte langes Haar; sie war ziemlich klein, mit schwarzen, strahlenden Augen und einem zart geformten, fast puppenhaften Gesicht. Sie hörte nie auf, ihren Mann gespannt anzusehen.
    »Ich werde ein Baby bekommen«, platzte das Mädchen heraus.
    »Ach, zum Teufel mit euch beiden«, sagte Lackmore voller Abscheu; er atmete scharf ein. »Ihr beide verschwindet sofort von hier.«
    Schuldbewußt senkten der Junge und seine Frau die Köpfe, drehten sich um und machten Anstalten, Lackmores Büro zu verlassen, wieder hinauszugehen auf die geschäftige, frühmorgendliche Innenstadtstraße von Oakland, Kalifornien.
    »Geht zu einem Abtreibungsberater«, rief Lackmore gereizt hinter ihnen her. Er ärgerte sich darüber, daß er ihnen helfen mußte, aber offenbar mußte das irgend jemand tun. Es war unübersehbar, in welch üble Lage sie sich gebracht hatten. Denn zweifelsohne lebten sie von einer Militärrente der Regierung, und wenn das Mädchen schwanger war, wurde diese Rente automatisch gestrichen.
    Zögernd zupfte der Junge am Ärmel seines zerknitterten Mantels, als er sagte: »Sir, wie finden wir einen Abtreibungsberater?«
    Das Unwissen der dunkelhäutigen Schicht, trotz der unaufhörlichen Bildungsbemühungen der Regierung. Kein Wunder, daß ihre Frauen oft schwanger waren. »Schaut ins Vidphonbuch«, sagte Lackmore. »Unter Abtreiber, therapeutisch. Dann den Unterabschnitt Berater. Kapiert?«
    »Ja, Sir. Danke.« Der Junge nickte rasch.
    »Kannst du lesen?«
    »Ja. Ich bin in der Schule geblieben, bis ich dreizehn war.« Auf dem Gesicht des Jungen zeigte sich glühender Stolz; seine schwarzen Augen glänzten.
    Lackmore kehrte zur Lektüre seines Vidblatts zurück. Er hatte nicht noch mehr Zeit gratis zu vergeben. Kein Wunder, daß sie Flakkies werden wollten. Konserviert, unverändert, in einem Regierungs-Lagerhaus, Jahr für Jahr, bis – würde sich der Arbeitsmarkt jemals verbessern? Lackmore persönlich bezweifelte es, und er war schon eine lange Zeit dabei; er war fünfundneunzig Jahre alt, ein Jerry. Im Laufe der Zeit hatte er Tausende von Leuten schlafengelegt, fast alle, wie dieses Paar, jung. Und – farbig.
    Die Tür des Büros schloß sich. Das junge Paar war so leise wieder gegangen, wie es gekommen war.
    Seufzend begann Lackmore wieder, den Vidblatt-Artikel über den Scheidungsprozeß von Lurton D. Sands jr. zu lesen – das sensationellste Ereignis, das momentan stattfand; wie immer las er begierig jedes einzelne Wort.
     
    Dieser Tag begann für Darius Pethel mit Vidphon-Anrufen erzürnter Kunden, die wissen wollten, warum ihre Jiffi-Scoutporter nicht repariert worden waren. Kann jeden Moment soweit sein, sprach er besänftigend auf sie ein und hoffte, daß Erickson in der Service-Abteilung von ›Pethels Jiffi-Scoutportern, Verkauf & Service‹, bereits an der Arbeit war.
    Sobald er vom Vidphon losgekommen war, suchte Pethel in der Unordnung auf seinem Schreibtisch nach dem aktuellen Exemplar des US-Wirtschafts-Report; er hielt sich natürlich über alle wirtschaftlichen Entwicklungen auf dem Planeten auf dem laufenden. Dies allein stellte ihn über seine Angestellten; dies, sein Reichtum und
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