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Horror Factory 3 - Der Blutflüsterer

Horror Factory 3 - Der Blutflüsterer

Titel: Horror Factory 3 - Der Blutflüsterer
Autoren: Christian Montillon
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rauschte in den kahlen Bäumen und vertrieb einige Wolken, hinter denen sich der leuchtend gelbe Vollmond hervorschob und alles in mattsilbriges Licht tauchte. Eis glitzerte auf den Sträuchern, hing in großen Zapfen von den Ästen, die dürr wie Skelettfinger in die Nacht ragten. Jedes Ausatmen zauberte kleine weiße Wolken vor Heikos Gesicht.
    Wolken, die ebenso verblassten, wie die Erinnerungen. Heiko zwang sich dazu, zu vergessen. Zum tausendsten Mal.
    Er rannte los, in die Dunkelheit, um sich abzulenken. Der Spurt führte ihn auf das freie Feld vor dem Waldrand. Die Anstrengung klärte seine Gedanken. Er stolperte über etwas unter der Schneedecke und stürzte über einen kleinen Erdhügel, die Reste eines erfrorenen Busches oder vielleicht sogar der Kadaver eines Tiers, das schließlich doch noch vor der Kälte hatte kapitulieren müssen.
    Sein Fuß blieb hängen, er hörte ein hässliches Knacken. Das Geräusch ging ihm durch und durch.
    Mühsam quälte er sich in eine aufrechte Position. Als er das rechte Bein belastete, schmerzte das Sprunggelenk mörderisch. Er bückte sich, glaubte durch das Leder der Stiefel eine Schwellung zu fühlen. Vorsichtig drehte er den Fuß. Es tat weh, aber er konnte ihn bewegen, was ihn durchaus erleichterte. Immerhin war nichts gebrochen und wohl auch kein Band gerissen.
    Hinkend taumelte Heiko weiter. Die Kälte verwandelte seine Finger in arthritische Klauen. Er schüttelte den Schnee ab. Unterschwellige Übelkeit stieg in ihm hoch. Er humpelte zurück nach Hause, neben seiner ursprünglichen Spur her.
    Wunderbar. Ein geschwollener Fuß war genau das, was ihm noch fehlte, um ihn endgültig in ein menschliches Wrack zu verwandeln.
    In Gedanken versunken quälte er sich ins Haus zurück und fragte sich, welches Schmerzmittel mit einem großen Ouzo und zwei Flaschen Bier harmonierte. Und einer Schlaftablette. Es ging wohl nicht anders.
*
    Wie jedes Mal quietschte die Hintertür erbärmlich. Sie führte von draußen direkt in die Küche, eine Eigentümlichkeit der alten Bauweise, an die sich Heiko noch immer nicht gewöhnt hatte.
    Er zog die schneefeuchten Schuhe und Strümpfe aus und schlüpfte aus der Hose, die bis zu den Knien nass glänzte. Heiko setzte sich und musterte seinen verletzten Fuß, der blau und geschwollen schimmerte. Dennoch sah es weit weniger schlimm aus als befürchtet.
    Aus dem Kühlschrank nahm er eine Flasche Ouzo, in der nur noch ein knappes Drittel der Flüssigkeit schwappte. Kurz dachte er nach, verzichtete auf ein Glas und trank direkt aus der Flasche. Es prickelte und brannte vor allem auf den durchkühlten Lippen.
    Bei der Überlegung, seinen Fuß mit dem Anisschnaps einzureiben, musste er grinsen. Man sagte dem Alkohol heilende Wirkung nach, zumindest solange man ihn äußerlich anwendete. Heiko entschied sich jedoch dagegen, schnappte sich seine Hose und schlich in Socken über den dunklen Flur. Wahrscheinlich schliefen die anderen schon; es war immerhin fast zweiundzwanzig Uhr.
    Die Tür zum Wohnzimmer war geschlossen, sodass nur durch den Schlitz über dem Boden ein wenig Licht des erlöschenden Kaminfeuers drang; auf den offenen Kamin hatten sie auch nach ihrem Umzug nicht verzichten wollen. Charly liebte diese behagliche Wärme … Es war wohl das Einzige, das sie noch liebte.
    Von Susi abgesehen.
    Vielleicht.
    Heiko fühlte sich oft wie ein Wrack, aber Charlotte war eines, seit dem Tag X. Seit sie vor Michis Zimmer wieder zu sich gekommen war und ihn zur Seite gestoßen hatte, damit sie zurück zu ihrem Sohn konnte. Zu dem ausgeweideten, abgeschlachteten … Kadaver, der von dem Jungen geblieben war.
    Auf dem Weg zu seinem Schlafzimmer, das Heiko auch als Arbeitszimmer nutzte (genau wie damals, im alten Haus, der Kellerraum eine Doppelfunktion erfüllt hatte), schaute er vorsichtig in Susis Zimmer. Sie war jetzt zwölf, und sie schlief oft unruhig und schlecht. Sofort entdeckte er das Nachtlicht in der Steckdose. Wahrscheinlich hatte Charly es eingesteckt, als sie nach der Kleinen geschaut hatte, oder Susi war selbst noch einmal aufgestanden. Heiko hatte mal wieder nicht dran gedacht, als er seine Tochter ins Bett gebracht hatte, vor seinem Abendspaziergang.
    Im mattgelben Licht setzte sich Susi plötzlich aufrecht hin und rieb sich mit beiden Fäusten über die Augen. Noch immer jammerte sie leise, in jenem Tonfall, der Heiko regelmäßig explodieren ließ, vor allem mitten in der Nacht beim zehnten Aufwachen, wenn Susi ihn wieder und wieder
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