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Hoffnung Blaue Seiten (German Edition)

Hoffnung Blaue Seiten (German Edition)

Titel: Hoffnung Blaue Seiten (German Edition)
Autoren: Jannis Plastargias
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einfühlsam er mit mir umgeht, so seelsorgerisch er mit mir schreibt, vor ihm und seinem zukünftigen Besuch fürchte ich mich fast gar nicht. Er dagegen äußert nicht so sehr viel von sich, Oberflächlichkeiten allenfalls, wo er arbeitet, wo er wohnt, mit wem er sich trifft, wofür er sich interessiert, wohin er geht, was er isst, wann er aufsteht, solche Dinge, doch wenn ich tiefer gehen möchte, dann sagt er, dass alles in Ordnung sei, dass er leider nicht mit solch besonderen Eigenarten ausgestattet sei. Dass er von Kind an unkompliziert gewesen sei, herrlich unproblematisch, selbst als rebellischer Jugendlicher merkwürdig genügsam und entspannt. Selbst sein Coming-Out, das er erst sehr spät erlebte, mit ungefähr 35, nachdem er von seiner weiblichen Jugendliebe geschieden worden sei, weil ihm mit jedem Ehejahr klarer geworden war, dass da noch etwas anderes in ihm stecke, etwas, das noch nicht ausgebrochen war, und dass es eben nicht normal war, sich so von seinen männlichen Kollegen einnehmen zu lassen, wirklich zu jedem Fußballspiel, Poker- oder Kneipenabend mitzugehen, seine Frau alleine zuhause zu lassen, nur weil er so nach der Gesellschaft dieser Männer gierte, ja, jeden Tag in ihren letzten zwei Ehejahren wurde ihm deutlicher, was ihm fehlte. Nachts in seinen Träumen sah er diese Männer, nackt, ihn lockend wie die Sirenen bei Odysseus, ein ums andere Mal wachte er wie ein Teenie nach seiner ersten nächtlichen Ejakulation auf, schrieb er, mit klebrigem Sperma an der Unterhose, sich wundernd, was da los sei, ja, selbst dieses Coming-Out war so merkwürdig unkompliziert, vielleicht weil seine Frau schon längst etwas gespürt hatte, eigene Wege gegangen war, und seine Eltern sich von ihm längst so entfremdet hatten, dass es ihnen egal war, was er tat, was er fühlte, was er mit seinem Leben anfing.
     
    Nur Filigranlover fragt mich, wie ich mir das leisten könne, zuhause zu bleiben, wie ich diese Dreizimmerwohnung finanziere, wie ich mir den Nippes, von dem ich erzählte, die Möbel, die Blumen, die Lebensmittel, denn leisten könne, woher das Geld stamme. Und ich erzähle ihm, dass die Wohnung mir gehört, dass ich sie von meiner Mutter, Gott hab’ sie selig, geerbt habe. Dass ich meinen Lebensunterhalt mit Heimarbeit verdiene, eine Arbeit, mit der ich sicherlich nicht reich werde, die mich aber ganz gut über die Runden bringt, und Ausgaben für Urlaube, Autos, Ausgehen habe ich ja nicht, das Geld für das Übersetzen von Bedienungsanleitungen vom Polnischen ins Deutsche reiche bei Weitem für meinen Lebensstil aus, mehr müsse es nicht sein, obgleich mehr Geld immer besser sei, ob man es braucht oder nicht.
     
    Mich öden diese anderen Gespräche auf diesen Blauen Seiten an, es entwickelt sich nichts Neues, nur mit Filigranlover gibt es wirklichen Kontakt, in dem Sinne, dass wir uns für einander interessieren und nicht nur für unsere Schwänze. Doch auch das wird nach einigen Wochen belastend für mich, dieses Chatten mit ihm, denn – wie soll ich es erklären – während ich die Scheu verliere, ihn zu treffen, Sicherheit gewinne, Vertrauen, das, was ich seit ihm, meinem verstorbenen Geliebten, der mich genau vor einem Jahr, fünf Monaten, drei Wochen, zehn Tagen und fünfzehn Stunden das letzte Mal besucht hat, niemals wieder gegenüber einem Menschen hatte. Wie denn auch? Ich habe seitdem ja niemanden mehr gesehen, dieses Vertrauen, dieses wohlige Gefühl habe ich wieder, und ich sehne mich so sehr danach, einen Menschen zu sehen, ihn zu spüren, zu riechen, zu fühlen, zu berühren, ich weiß nicht, ob das jemand nachvollziehen kann, der normalen Kontakt zu Menschen hat, der zur Begrüßung umarmt wird, geherzt, geküsst vielleicht sogar, jemand, der einen Partner, eine Partnerin hat, kuschelt, knutscht, knattert, wie wir es früher als Jugendliche nannten. Ich weiß nicht, ob das der gewöhnlich lebende Mensch versteht, der Hans Müller oder der Thomas Meier, wie ich mich fühle, wonach ich mich verzehre, nach kleinen Berührungen, nach dem Geruch anderer Menschen, das fehlt mir am meisten, obwohl es auch die meisten Ängste hervorruft, und doch ist er nun derjenige, der sich sträubt, der ausweicht, wenn ich vorschlage, sich endlich zu begegnen, in der Realität, in meiner Wohnung, in meiner Welt – und doch bin ich mir sicher, dass er früher oder später einwilligen wird, und dann wird es sehr schön mit uns beiden.
     
    Doch dann male ich mir wieder aus, was alles passieren
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