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Hoffnung Blaue Seiten (German Edition)

Hoffnung Blaue Seiten (German Edition)

Titel: Hoffnung Blaue Seiten (German Edition)
Autoren: Jannis Plastargias
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stattfinden können. Und genau das scheinen zum Beispiel die jungen Männer aus Ghana misszuverstehen: Schöne Wohnung bedeutet Geld haben, arriviert sein, gleichzeitig bedeutet mein Alter, dass ich keinen jungen hübschen Typen mehr abkriegen kann, dann soll ich froh sein, wenn mir ein zwanzigjähriger, zugegeben wunderschöner und gutgebauter dunkelhäutiger Mann Angebote macht, mir per Email hübsche Bilder schickt und von einer Beziehung bis ans Lebensende schreibt.
     
    Es überfordert mich, diese Email von diesem Jungen aus Ghana zu lesen, diesem wirklich attraktiven Typen mit den traurigen Augen, der so einen lieben Text schreibt. Ich denke mir, du kannst ihn doch herholen, er kann dir im Haushalt helfen, all die Dinge tun, die du selbst nicht schaffst, aber im nächsten Moment denke ich, nein, das geht nicht, du bist kein Sklaventreiber, du kannst das nicht, du möchtest ihm helfen. Doch nicht so, schicke ihm Geld, aber das reicht ihm wahrscheinlich nicht, was ich ihm geben kann, für seine Kost und Logis sorgen, seinen Aufenthalt durch Heirat ermöglichen, das ginge noch, mehr nicht. Wieso müssen er und die anderen jungen Männer aus Accra mir schreiben, was passiert mit ihnen dort, dass sie einem Mann, der 33 Jahre älter ist, solche Nachrichten schreiben? Es bedrückt mich, es macht mich fertig, es bestätigt meine Ängste dieser schlechten Welt, in die ich nicht hinaus möchte, niemals wieder, um nichts in der Welt, wirklich. Ich male mir aus, wie sie in Ghana, wo Sex zwischen Männern illegal ist, in Gefängnisse gesperrt, von anderen Männern verprügelt und vergewaltigt werden, male mir aus, dass sie alles lieber täten, als dort weiterhin zu leben, und einen alten Knacker in Kauf nähmen, um dem allen zu entfliehen, und dieser alte Knacker sollte ich sein.
     
    Wenn ich auf diesen Blauen Seiten eine Nachricht erhalte, dann höre ich so ein Harfengeräusch. Das gefällt mir, ich weiß nicht wieso, und ich merke, dass ich irgendwann anfange, bei jedem dieser Harfenklänge zu hoffen, dass die Nachricht von Filigranlover stammt, dass er mir endlich wieder antwortet. Und wenn ich zu lange warte, dann schaue ich mir sein Profil an, seine Texte, seine Urlaubsfotos, die keine Menschen, sondern Orte zeigen – blaues Meer, ein weiter Horizont, schneeweiße Gebirge und andere belanglose Klischeebilder. Was ihm sicherlich merkwürdig vorkommt, da er ja auf diesen Blauen Seiten verfolgen kann, wer seine Profil anschaut. Absurd ist das Ganze so oder so, das ist ja wie Verliebtheit, und ich habe noch bei Daniel Glattauers Werk »Gut gegen Nordwind« über diese naive Vorstellung gelacht, man könnte sich verlieben, ohne sich jemals persönlich getroffen zu haben, aber ich beginne nun zu verstehen, wie das funktionieren könnte, welchen Streich uns das Hirn, und nicht etwa das Herz, da spielen kann. Denn es muss ja Einbildung sein, wenn so etwas passiert, wie sollen denn diese Pheromone durch den Körper schießen können, wenn du den Geruch der anderen Person nicht kennst, wenn du den anderen nicht berührt hast, wenn du kein sinnliches Gefühl aufbauen konntest, und das alles nur im Kopf stattfindet, und doch: Ich denke an ihn, spiele in meinen Gedanken ewig unsere Chat-Dialoge durch, male mir aus, wie es wäre ihn neben mir auf dem Sofa zu haben, ihm körperlich ganz nahe zu sein.
     
    Die meisten Chats brechen nach einer Weile ab, wenn ich zu zögerlich antworte, ausweiche, wenn es darum geht, einen Termin für ein Date auszumachen, meine Schüchternheit wird vom Gegenüber falsch gedeutet, mit Misstrauen verwechselt vielleicht, mit Desinteresse, ich weiß es nicht, nicht zumindest als Angst, als Angst, durch so ein Treffen das Ende der Beziehung heraufzubeschwören. Denn wenn ich mit ihnen schreibe ist das mehr Beziehung als sich einmal zu einem Treffen durchzuringen, bei dem dann alles schief geht, weil ich zu verschüchtert und verängstigt bin, der andere das aber nicht nachvollziehen kann, unsensibel wird, woraufhin ich noch ängstlicher werde, hysterisch, verstört – und dann ist alles zu spät, es wird in so einer Situation für keinen Anwesenden ein glückliches Ende nehmen.
     
    Nur Filigranlover lässt sich auf mich ein, ist interessiert an mir, nimmt sich Zeit für mich, lässt mich meine Welt erklären, die so anders zu sein scheint als seine. Nur er fragt mich, was er mir Gutes tun könnte, was ich mir wünsche, wonach ich mich sehne. Manchmal denke ich mir, er wäre ein Hirngespinst, so
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