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Hoffnung Blaue Seiten (German Edition)

Hoffnung Blaue Seiten (German Edition)

Titel: Hoffnung Blaue Seiten (German Edition)
Autoren: Jannis Plastargias
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könnte: Er kann mich nicht riechen, vielleicht findet er mich hässlich, vielleicht mag er meine Stimme nicht oder meine Wohnung, meine Wohnungseinrichtung, vielleicht beginne ich zu schwitzen, wenn er mir näherkommt, vielleicht muss ich dauernd auf die Toilette, vielleicht wird mir schlecht und ich übergebe mich auf ihn. Mir gehen so viele Szenarien durch den Kopf, er findet meine Füße zu knorpelig, meine Falten zu faltig, meine Zähne zu gelb, meine Finger zu fleischig, meine Lippen zu trocken, meine Augen zu wenig glänzend …
     
    Er findet seltsame Ausreden, dieser Filigranlover, mal ist er auf Dienstreise, wenn ich ihn einlade, mal behauptet er krank zu sein, mal beantwortet er meine Nachrichten tagelang nicht, und kommt auch nicht online. Solche Dinge kann man auf den Blauen Seiten ja durchaus herausfinden, da braucht man nicht sehr viel Ahnung von Technik zu haben, hier auf den Blauen Seiten kontrolliert man sich, stellt sich nach, hier werden Outings zwangsweise produziert, indem man den Kollegen, den Nachbarn, den Freund des Bruders wiedererkennt, trotz Nickname, der vom richtigen Namen ablenken soll. Einfach, weil man alle Profile durchklickt, auf der Suche nach Mr. Right, aber auch nach anderen Schwulen aus der Nachbarschaft, aus dem Unternehmen, aus der Familie. Beim nächsten Chat geht er gar nicht auf die Einladung ein, fragt dafür aber sensibler nach, wie es mir gehe, noch mehr Fragen stellend zu meinem Zustand, zu meinen Lebensverhältnissen.
     
    Und dann passiert etwas Schlimmes, während ich so darüber nachdenke, wieso er mich nicht treffen, wieso er mich hier bei mir zuhause nicht besuchen möchte, obwohl das am Anfang ja seine Intention gewesen war, angeblich, und dann denke ich, dass er mich vielleicht nur als den leidenden Menschen sieht, den er interessant findet, aber vor dem er sich schützen möchte, dass da kein sexuelles Interesse besteht, aber vor allem auch kein Interesse, eine enge Beziehung einzugehen. Ich beginne ihm zu misstrauen, ihm insgeheim vorzuwerfen, dass die gelegentlichen Flirts, die sexuellen Anspielungen und manchmal auch mehr – man könnte es Cybersex nennen, wenn wir plötzlich anfangen, von unseren Schwänzen zu sprechen und was wir tun würden, wenn wir gerade nebeneinander säßen oder lägen –, dass ihm dies alles nichts bedeutet, dass er nur Mitleid mit mir hat, dass ich seine gute Tat des Tages bin, dass er sich vermutlich überhaupt keinen runterholt, während er mit mir diesen merkwürdigen Computersex hat. Ja, das Schlimme für mich ist, dass sich ein großes Misstrauen in meinen Kopf und in meinem Herzen festsetzt, dass ich beginne, ihn weniger zu mögen, nicht mehr auf seine Nachrichten zu warten, er wird mir gleichgültiger, bis ich sogar, obwohl ich permanent online bin auf den Blauen Seiten, manchmal zwei, drei Tage verstreichen lasse, bis ich ihm antworte, was ihm wiederum merkwürdig vorkommt. Er spricht es sogar an, und Recht hat er, ich, der die ganze Zeit zuhause sitze, am Laptop, das ja mein Arbeitsgerät ist, eines der wenigen, ich, der die ganze Zeit im Internet bin, schon auch, weil ich vieles dort nachschlage, meine Jobs über das Internet akquiriere etc., wie kann es sein, dass ich nicht in kurzer Zeit antworte, das mag er nicht verstehen, und deutet an, dass er sich verletzt fühlt, was mich wiederum abstößt, mich fragen lässt, was er sich einbildet.
     
    Die nächsten Tage streiten wir uns, wenn wir miteinander chatten, ich ertrage es kaum, aber auch er scheint dabei keine bessere Figur zu machen, er schießt wild zurück, wenn er das Gefühl hat, beleidigt zu werden, wobei er sehr verletzlich erscheint, so verletzlich wie ich selbst. Wir streiten auf einer merkwürdigen Ebene, schließlich kennen wir uns nicht, schließlich haben wir uns nie gesehen, aber auch das geht offensichtlich, und dabei fällt mir erneut das Buch von Glattauer ein, ja, natürlich kann man sich auf diese Weise streiten, aber da ist noch irgendetwas anderes, ich weiß allerdings nicht was. Ich grübele tagelang darüber nach, selbst, als wir uns wieder annähern, als wir wieder liebevoller werden, fast wie zu den besten Zeiten unseres Chats. Ja, bemitleidenswert ist das doch, wenn Gespräche im Internet das Highlight eines Lebens sind, und trotzdem freut es mich, dass es wieder besser läuft, das »unsere Beziehung« etwas aufblüht, es gibt mir Hoffnung auf mehr.
     
    Mit den anderen Chattern läuft es auch wieder besser, vielleicht weil ich
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