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Hoerig

Hoerig

Titel: Hoerig
Autoren: Nelly Arcan
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jetzt einfällt, ziemlich müffelte. Das Licht sollte natürlich wirken und der Schlichtheit von Kindern entsprechen, die im allgemeinen keine Ahnung haben von Farbpaletten und ihrer Schokoladenseite; es sollte aussehen wie an einem sonnigen Nachmittag, wenn unbeaufsichtigte kleine Mädchen in ihrem Zimmer Siesta halten, allein mit ihren Puppen. Die Atmosphäre sollte an einen Spielplatz abseits ausgetretener Wege erinnern, weil die Internauten beim Betreten der Kinderwelt vor Überraschungen sicher sein wollten.
    Mir wurde sehr genau erklärt, was die Fotos suggerie-ren sollten. Ich dürfe keinesfalls den Eindruck erwecken, daß ich mich mit Sex auskenne, ich solle aber so aussehen, als ob ich wahnsinnig Lust darauf hätte. Ich müsse mich innerhalb des begrenzten Wissens kleiner Mädchen über die Sache bewegen, schüchterne Seitenblicke werfen und an meinem Zopf lutschen, nicht weil ich nach einem Schwanz begehrte, sondern nur um zu erkunden, wie Haare schmecken. Es gehe darum, die ganze Naivität der ersten Welterfahrung mit allen Sinnen wiederzuentdek-ken, und für die Entdeckerlust der Internauten sollte ich mich auch ausziehen. Dabei ging es um zweierlei: erstens meinen Körper zu entblößen, um ihnen das Aua zu zeigen, das sie kneten sollten, zweitens, daß sie mir darüber etwas beibringen wollten. In einigen teureren Fällen ging es um den Vergleich des Auas mit dem eines anderen kleinen Mädchens, das den Doktor spielen mußte. Weiß doch jeder, daß kleine Mädchen miteinander Doktor spielen während der Siesta und manchmal vor Aufregung Lulu machen, nur die Neidhammel haben immer etwas zu meckern. Weiß doch jeder, daß sie ein Geschlecht haben, an dem man sanft arbeiten muß und das im Gegenzug nichts dafür verlangt. Weiß doch jeder, daß in diesem Alter mehr als in jedem anderen die Lust keine Scham kennt und nur darauf wartet, Form anzunehmen.
    Ich mußte die ganze Zeit so tun, als würde ich gleich loskichern, und mir die Hand vor den Mund halten. Die routiniert einstudierte Geste oder der wissende Schmoll-mund waren hier nicht gefragt, im Gegenteil, ich sollte Lust auf eine Sache haben, die ich noch nicht ganz begriff, aber zu der es mich drängte, weil sie neu war und für die Initiation bestimmt. Das Wichtigste war die Unschuld in allem, davon hing die Treue der Internauten ab. Sagen wir, die obersten Bosse von Barely Legal hatten das alles genau getestet; dort hatte man jahrelange Erfahrungen mit kleinen Mädchen und wußte, daß die Kindheit vor allem eine Zeit für Erwachsene war.
    Die Fotos wurden bei mir zu Hause gemacht. Ein Stu-dio mit fester Adresse in der Innenstadt hätte für Barely Legal gefährlich werden können, zu den Mädchen nach Hause zu kommen war eine Möglichkeit, den Tatort zu verschleiern. Ich wurde gebeten, die Überreste meiner Kindheit aus den Schränken zu holen und das Passende auszuwählen: vorzugsweise Laken aus weißer Baumwol-le, rosa und blaue Kleidungsstücke, wenn möglich weiße Socken und flache Schuhe, Teddys, Puppen, Rollschuhe, ein Springseil, mit dem man mir die Hände am Bettpfo-sten festbinden könnte, Schlumpf-Comics oder vielleicht auch einen Wasserball. Alle Gebrauchs- oder Dekoge-genstände, die eine größere geistige Reife voraussetzten, wie das Telefon, die abstrakten Bilder an den Wänden, Pflanzen, Bücher, Parfum und Schmuck, die antike Eichenkommode und der große Drehspiegel mußten aus dem Rahmen, den die Kamera erfassen konnte, verschwinden.
    Die meisten Fotos wurden in meinem Schlafzimmer gemacht, die anderen Räume waren unbrauchbar, zuviel Stein und Holz, zu viele Töpfe und Elektrogeräte; das wäre zu hart gewesen für die Internauten, das hatte mit Verantwortung zu tun. Sie fanden mich schüchtern, aber es war nicht die richtige Schüchternheit, es gab die nied-liche Schüchternheit kleiner Mädchen, die der Welt nichts Böses zutrauen, und die Schüchternheit komplex-beladener Frauen, der die Anmut fehlte, mir fehlte die wahre Jugend, die noch nicht vom Leben gezeichnet ist.
    Ich lächelte ihnen zu wenig, und wenn ich lächelte, war mir zum Weinen, nicht weil ich traurig war, sondern weil mir das aufgesetzte Lächeln, dem das restliche Gesicht nicht folgte, unangenehm war, und weil ich zu lange auf den Blitz des Fotoapparats warten mußte, hinter dem der Fotograf darauf wartete, daß ich korrekt lächelte. Er hatte Geduld mit mir, auch wenn es vielleicht nicht so aussehe, sagte er, er verstehe Frauen meines Alters.
    Dann gingen
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