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Hoerig

Hoerig

Titel: Hoerig
Autoren: Nelly Arcan
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auf den Strich gegangen und glaubt deshalb an die Wahrscheinlichkeit. Im Grunde hat sie damit auch recht, der Glaube an die Wahrscheinlichkeit kann für alle, die ihren Weg ohne Gottes Hilfe finden möchten, ein Wegweiser sein. Josée jedenfalls fand beim vierzig-sten Treffen ihr Glück, dabei hatte sie sich von vornher-ein auf hundert Dates beschränkt.
    Eines Tages hast du mir gestanden, daß du früher einen eigenen Steckbrief auf reseaucontact.com hattest, aber im Gegensatz zu Josée nur zum Spaß, aus reinem Zynismus und weil du vielleicht einmal recherchieren wolltest für ein Dossier über die sexuellen Gewohnheiten von Männern und Frauen im Net.

    Du hast ständig von Frauen gesprochen, Freitagabend im Bily Kun zum Beispiel mit deinen Freunden JP und dem, den wir Mister Dad nannten, weil er fünfzehn Jahre älter war als wir und aus New York kam.
    Alle um uns herum haben geschrieben und wollten veröffentlicht werden; es gibt nur so viele Bücher auf dem Markt, weil Schreiben eine Seuche ist. Mister Dad zum Beispiel wollte etwas schreiben, das ganz anders war als mein Buch, sein Buch sollte eine Geschichte enthalten mit Anfang und Ende und einer spannenden Handlung voller Verwicklungen dazwischen, ein Buch für Männer eben. Mit Mister Dad sprachen wir immer englisch, nicht aus Anpassung, sondern aus Ungeduld, sein Französisch zog sich immer zu sehr in die Länge, und dieses Tempo paßte nicht in unsere Kokszeit, in der die Sätze Hals über Kopf aus uns herausstürzten, es war eher eine Art Mitge-fühl für uns selbst, daß wir seine Sprache sprachen. Ich wurde jedoch langweilig, wenn ich englisch sprach, ich wurde zu einer richtigen Tusse, weil ich mich auf englisch nur über Markennamen, Florida, Sex and the City und amerikanische Stars unterhalten konnte. Die großen, existentiellen Fragen blieben unerreichbar, meist konnten sie die Drei-Wort-Barriere nicht überwinden und blieben als reine Ideen in der Luft hängen, und ich versuchte das Fehlen der Wörter mit großen Gesten zu kompensieren.
    Wenn ich mit Mister Dad sprach, blieb ich immer auf halber Strecke stehen und ließ ihn meinen Gedanken in seiner Sprache beenden. Ich verlangte von ihm, daß er seine Sprache sprach, denn wenn er versuchte, mit mir französisch zu sprechen, machten wir uns beide lächerlich mit unserem Gehampel mit Händen und Füßen; zum Schluß sagte ich meistens you know, er sagte I know, und so verstanden wir uns trotzdem.
    Eine Zeitlang hat Mister Dad versucht, an mir das zu finden, was dir an mir gefiel, er hielt mich für oberflächlich, das hast du mir selbst einmal gesagt. Eines Abends im Bily Kun ist etwas Überraschendes geschehen, das ich mir nie recht erklären konnte: Mister Dad und ich küßten uns vor dir auf den Mund, und du hast nichts gesehen.
    Während ich ihn küßte, habe ich dich nicht aus den Augen gelassen, du hast ins Leere geschaut und mit JP
    geredet. Wir haben das noch mehrmals wiederholt, wir haben uns an diesem Abend mindestens zehnmal geküsst, du warst ganz nah, aber in Gedanken woanders. Im Bily Kun kannten uns alle, alle haben dich respektiert, alle schauten uns zu und dann dich an. An diesem Abend gab es lange Schweigemomente im Bily Kun, die im Techno-lärm untergingen, man verständigte sich mit den Augen und rührte sich nicht; man wartete auf die Befehle des Königs, man zog Schlüsse, wir hatten uns wohl getrennt.
    JP, der gar nichts mehr verstand, ging, ohne uns auf Wiedersehen zu sagen. Am nächsten Tag rief er dich an und machte eine Riesengeschichte daraus, dazu muß man sagen, daß JP Skrupel hatte, Frauen zu ficken, in die er nicht verliebt war, das machte ihn dem Exhibitionismus der anderen gegenüber aggressiv, manchmal verschwand er plötzlich, weil Frauen sich wie Schlampen aufführten, das ließ ihn zu Eis erstarren. Du hast mein Verhalten, als du davon wußtest, dem Koks zugeschrieben.
    Später habe ich erfahren, daß Mister Dad mich küßte, weil er das schon immer wollte und weil er das Ende zwischen uns nahen fühlte; er hielt mich zwar für dumm, wollte aber seine Chance nicht vertun, er fand mich sexy mit meinen kalifornischen Rundungen.

    *

    Ich hatte dir von den Fotos erzählt, die vor acht Jahren im Internet kursierten und zu den ersten Pornofotos in der Geschichte des Internets gehörten, eigentlich um dich zu bestrafen, doch dir hat diese Neuigkeit gefallen. Die Fotos ließen dir keine Ruhe, du wolltest sie sehen, weil du wissen wolltest, ob die Tatsache, daß du
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