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Hoerig

Hoerig

Titel: Hoerig
Autoren: Nelly Arcan
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mich kanntest, dein Vergnügen schmälern würde, vielleicht war das Wichsen vor den Fotos einer Frau, mit der man in der Entzauberung des Alltags verkehrte, so etwas wie ein Inzest. Vielleicht würde dir diese Erfahrung aber auch eine neue Dimension erschließen, und die Leere nach deiner Entladung wäre weniger groß, weil du dich von dem Bild einer Frau, der du wirklich etwas bedeutest, nicht so betrogen fühltest. Von den Huren fühlen sich alle Kunden im nachhinein betrogen, und viele würden gern ihr Geld zurückverlangen.
    Auf den Fotos war ich ganz jung, kaum älter als zwanzig, und auch das ließ dir keine Ruhe. Vielleicht war ich eine andere Frau geworden, vielleicht sah ich mir gar nicht mehr ähnlich, in acht Jahren verändern sich Frauen enorm, vor allem in den Zwanzigern. Frauen mit zwanzig, sagtest du, müßten den Arschtest bestehen, weil der Hintern in dem Alter manchmal ins Monströse wachse, Frauen mit dreißig dagegen den Hauttest, weil die Haut ihre Textur verändern und zum Alter hin ausfransen könne, was man nie wieder hinbekäme. Mit dreißig Jahren werde die Haut zu groß, sie wachse einfach ohne den Körper weiter und löse sich von ihm ab. Mein Hintern sei trotz meiner neunundzwanzig Jahre jung geblieben, hast du gesagt, nur meine Haut habe begonnen, sich zu verändern, nicht sehr, aber ein bißchen, zum Beispiel auf meinem Bauch, wo sie sich manchmal grundlos sammle wie bei deiner Katze Oreo. Die Haut bereitet sich bei Katzen wie bei Frauen auf die Tritte der Babys vor, die um ihren Lebensraum kämpfen.
    In den ersten Wochen unserer Beziehung hast du auf der vergeblichen Suche nach diesen Fotos stundenlang Archive durchforstet und versucht, Paßwörter zu knak-ken, indem du blind welche eingabst; daß du mit solcher Hartnäckigkeit nach meinen Fotos gesucht hast, war vielleicht deine Art, mir den Hof zu machen. Du warst auch im Archiv der Barely-Legal-Seiten, für die nur Frauen unter zwanzig rekrutiert werden, die macht man dann zu kleinen Mädchen und fotografiert sie, von Stoff-tieren umgeben, auf einem Einzelbett. Barely Legal ist ein legaler Umweg zur Lolita, was du bereits wußtest, du warst bei deinen Recherchen öfter dort gelandet, du mußtest ja das Terrain sondieren, um konkrete Anhalts-punkte für deinen Roman zu finden und dich zu inspirieren. Für dich waren die zarten Knospen der Jugend genauso ein Fetisch wie Stiefel, doch Stiefel waren dir lieber. Sie waren deiner Meinung nach ein passender Ausdruck für die Vorstellung von Dringlichkeit in einer Gasse, wenn man keine Zeit hat, miteinander ins Bett zu gehen, und für die Autorität von Karrierefrauen; du wolltest richtige Frauen lieben, hast du gesagt, keine Mädchen, deine Mutter zum Beispiel war Missionarin, sie engagierte sich ehrenamtlich bei der sozialen Wieder-eingliederung problematischer Jugendlicher, sie hatte ein dickes Fell. Darauf sagte ich, je älter du würdest, desto jugendlicher würde auch dein Geschmack. Ich wüßte gern, ob du dich mit fünfzig noch an mich erinnerst.
    Daß du die Fotos nicht finden konntest, hat dich sehr betrübt. Um dich zu trösten, werde ich dir von dem Shooting erzählen, einem kleinen Rest aus meiner Vergangenheit, den du noch nicht kennst.
    Für das Shooting wurden mir weiße Bänder in die Haare geflochten. Ich sollte ein kurzes, blauweiß kariertes Kleidchen tragen, das sie Strandkleid nannten, aber das Ganze drohte am Umfang meiner Brüste zu scheitern. So mußte der Akzent auf meine zarten Beine mit den winzi-gen Füßchen gelegt werden, die so klein waren, daß sie alle Männer faszinierten, die ich kannte. Zu den Brüsten sagte ich aus Spaß, ein Lätzchen könnte sie doch zumin-dest teilweise verdecken; sie fanden die Idee gut, ehrlich gesagt, hätten sie nie dran gedacht, aber sie würden jetzt sicher eines besorgen für die nächste Problembrust. »Sie«
    waren drei Männer, von denen der erste fotografierte wie ein richtiger Fotograf, der zweite machte Polaroids für die richtige Beleuchtung, und der dritte war für Komposition und Thematik zuständig; er war mindestens eins neunzig groß, genau wie du, er hatte den Überblick, er war der Regisseur.

    Durch das Lätzchen kamen sie auf die Erdbeermarmela-de. Ich sollte also während des Shootings die Marmelade mit den Fingern aus dem Glas essen und außerdem mit einem Teddy spielen, einem Geburtstagsgeschenk meines Vaters übrigens, den ich aus dem hintersten Winkel der Garderobe ausgebuddelt hatte und der, wie mir
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