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Höllenknecht

Höllenknecht

Titel: Höllenknecht
Autoren: Ines Thorn
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schmiegte sie ihr Gesicht für einen Augenblick in seine Hand und war bald darauf wirklich eingeschlafen. Wie ein Kind sieht sie aus im Schlaf, dachte Heinz. Wie ein kleines Mädchen. Und nicht wie eine Frau von einundzwanzig Jahren. Vielleicht bin ich ja doch zu alt für sie. Zehn Jahre, das ist kein großer Unterschied. Aber in manchen Dingen zeigt es sich eben doch, dass ich der Ältere bin. Und es ist nicht nur schlecht. Ganz im Gegenteil. Wie oft hat sich meine Bedachtsamkeit schon ausgezahlt! Heinz Blettner lächelte kurz. Aber, dachte er, manchmal ist bedächtig sein auch eher störend. Er schluckte, dachte an die schönen Abende, die er gemeinsam mit seiner Frau im Bett erlebt hatte, und fragte sich ernsthaft, ob tatsächlich nur er diese Abende als schön empfunden hatte. Allmählich ergriff die Nacht die Macht über ihn, zog ihn an den Busen des Schlafes. Er sank neben seiner Frau ins Bett, schmiegte sich an ihren Leib und schlief ein.
    Plötzlich klopfte es an der Haustür. Hella und Heinz fuhren erschrocken hoch. Es klopfte zum zweiten Mal. Heinz küsste Hella auf den Scheitel, stand auf und beugte sich aus dem Fenster. «Wer da?», rief er hinaus. Ein Büttel stand vor dem Haus, sah nach oben. Hella hörte undeutliche Worte.
    «Was ist?», fragte sie.
    Heinz wandte sich um.
    «Es ist der Stadtknecht. Ich fürchte, es gibt ein neues Verbrechen.»
    «Was ist geschehen?»
    «Ein Arm. Jemand hat einen Arm auf dem Römerberg gefunden, sagt der Büttel. Einen Arm ohne einen Körper daran.»
     
    Heinz’ Schritte waren gerade verklungen, als auch Hella aus dem Bett sprang. Sie schlüpfte in ihre Kleider und war schon auf der Straße, kaum dass Heinz um die nächste Ecke gebogen war. Obwohl der Morgen eben erst heraufdämmerte, waren die Straßen voller Menschen. Lehrjungen liefen hin und her, ein Mädchen trieb eine Ziege vorüber, Dienstmägde trugen duftende Brote in die Häuser ihrer Herrschaft, Bettler wischten sich den Schlaf aus den Augen und begaben sich zu ihren Stammplätzen in der Nähe der Kirchen.
    Hella lief die Fahrgasse hinunter bis zur Schnurgasse. Hier hatten die Kürschner ihr Zunfthaus, hier wohnten auch die meisten von ihnen. Prächtige Bauten standen neben einfachen Bürgerhäusern, reiche Kürschnerfrauen legten ihre Betten in die Fenster, schüttelten Felle aus, mit denen Truhen und Bänke bedeckt waren. Ständer mit Umhängen, Mänteln und Schauben wurden von Lehrjungen über die Gasse geschoben, es roch leicht nach Gerblohe und stark nach nassen Tierfellen. In den offenen Werkstätten sah man Gesellen an großen Holztischen mit groben Kämmen Pelze striegeln. Ein gutgekleideter Mann ließ sich ungeachtet der frühen Stunde von einem verschlafenen Meister einen Mantel anmessen.
    Hella hatte für all dies keinen Blick. Hastigen Schrittes bog sie in die Neue Kräme, lief an den offenen Schaufensternder großen Krämer und an den Kontoren der Kaufleute vorüber, erschnupperte den Geruch seltener Gewürze, wich Fuhrwerken aus, sprang über ein rollendes Fass, stieß beinahe mit einem Auflader zusammen, der einen Sack über der Schulter trug, ließ sich vom Glitzern des Tandes in den Auslagen nicht ablenken und gelangte schließlich auf den Römerberg. Sie hielt sich im Schutz der Hauswände und betrachtete die Gruppe, die mitten auf dem Römer direkt neben dem Brunnen stand. Bei ihrem Mann standen der Henker, zwei Büttel, der neue Leichenbeschauer Eddi Metzel und ein Schreiber. Dahinter hatte sich eine dichte Menschenmenge versammelt. Langsam ging Hella näher, blieb auf der Höhe des Hauses der Alten Limpurg stehen, schlüpfte durch das Gedränge und sperrte ihre Ohren auf.
    «Bissspuren», hörte sie den Henker mit tiefem Bass sagen. «Am Arm sind Bissspuren.»
    Wie ein Lauffeuer ging die Nachricht durch die Menge. Eine Frau schrie, eine andere schluchzte auf. «Ruhe!» Der Büttel schrie. «Packt euch. Oder soll ich euch Beine machen?» Aber die Menge drängte näher und näher heran.
    «Vielleicht ein Tier, ein streunender Hund oder so», hörte Hella den anderen Büttel sagen. Nun stand sie nahe genug, um auch den Blick des Richters zu sehen, der den Stadtknecht zum Schweigen brachte.
    Schmerzhaft bohrte sich ein Ellbogen in ihre Seite. Hella stöhnte auf. «Ich bitte Euch sehr um Vergebung», sprach ein Fremder zu ihr. Er hatte einen Akzent, den Hella noch nie gehört hatte. Sein Aussehen zeigte auf Anhieb, dass er kein Bürger des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation war. Er
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