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Höllenknecht

Höllenknecht

Titel: Höllenknecht
Autoren: Ines Thorn
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betrachtete den Leichnam, strich sich seufzend über das Kinn. Schließlich schien er gefunden zu haben, wonach er suchte. Er holte einen Spaten aus der Satteltasche und begann zu graben.
    Der Verfolger hörte ihn schwer atmen bei der Arbeit. Dann stieß der Spaten mit einem dumpfen Poltern auf Widerstand. Kurz darauf legte der Mann den Spaten beiseite, bückte sich, ruckelte an etwas, zerrte und brachte schließlich eine große, aus Holz geschnitzte Truhe ans Licht.
    Hastig sah er sich um, aber die Nacht blieb still. Auch sein Beobachter regte sich nicht hinter dem Gebüsch, bis sich der Mann endlich wieder der Kiste zuwandte.
    Der heimliche Zeuge nickte. «Das machst du schlau», wisperte er. «So können die Wildschweine den Toten nicht wittern und fangen nicht an zu graben. Sehr schlau.» Er lächelte und beobachtete weiter das Geschehen auf der Lichtung.
    Mit einem leisen Quietschen öffnete sich der Truhendeckel. Der Mann packte den Toten bei den Füßen und zerrte ihn zur Kiste. Keuchend versuchte er, den Leichnam zu verstauen. Obwohl die Totenstarre noch nicht eingesetzt hatte, gelang es ihm nicht. So viel er auch zerrte, drückte, presste und bog, es war vergebens. Mal hingen die Füße aus der Kiste, dann ein Arm, da der Kopf. Wieder seufzte er, blickte auf, als erwarte er Hilfe vom Himmel. Doch der Mond schien ungerührt, und einzig ein Käuzchen ließ sich in der Ferne vernehmen.
    Unterdrückt fluchend ging der Mann wieder zu seinem Pferd. Diesmal holte er aus der Satteltasche ein Beil. Die Gestalt im Schatten hielt die Luft an. Tatsächlich, der Mann legte die Leiche auf den Waldboden, gerade so, wie man vor 1500   Jahren Jesus Christus ans Kreuz geschlagen hatte!Dann sauste das Beil nieder, fuhr mit leisem Knirschen in die Schulter des Toten.
    Ein Schauder überflog den Zeugen, er zuckte zusammen und presste die Hand an seine Kehle. Ein Würgen stieg in ihm auf. «Dafür krieg ich dich», flüsterte er. «Dafür wirst du bezahlen.» Es klang wie ein Fluch. Doch der Mann auf der Lichtung hatte es nicht gehört. Zu vertieft war er in seine Arbeit. Wieder zuckte das Beil.

KAPITEL 1
    Es war der heißeste Sommer seit Jahren.
    Fassweise hatten die Bauern Wasser auf die Felder gebracht, aber es half nichts. Bereits im Juni war das Korn auf den Feldern verbrannt, das Gras auf den Weiden verdorrt, die Wege aufgerissen wie mit tiefen Wunden.
    Die Mägde, die sich allmorgendlich beim Brunnen einfanden, mussten von Mal zu Mal die Eimer tiefer hinunterlassen, um an das Wasser zu kommen. Dafür trockneten die Laken auf den Bleichwiesen unten am Ufer schneller, als die Wäscherinnen es je erlebt hatten.
    Der Main führte Niedrigwasser. Kaum ein Schiff kam nach Frankfurt durch. Einzig der Marktkahn fuhr weiter regelmäßig zweimal die Woche nach Mainz und zurück, aber auch er wurde vorsichtshalber nur leicht beladen.
    Der Gestank, den die Stadt ausschwitzte, wurde von Tag zu Tag unerträglicher. Von den Fleischbänken auf dem Markt und aus dem Viertel der Schlächter und Metzger drang Verwesungsgeruch in die umliegenden Gassen und Häuser. In den Abfallgräben vermoderten Küchenreste und verbreiteten einen sauren Gestank. Tote Vögel lagen an den Straßenrändern, anderswo tote Katzen, Hunde und Ratten. Grün schillernde Fliegen bedeckten nicht nur Kadaver und Exkremente, sondern auch die schweißnassen Rücken der Auflader, Hafenarbeiter, Brunnengräber, Kloakenreinigerund sogar das Kreuz, welches ein Benediktiner einer Prozession vorantrug. Zwei Ministranten liefen nebenher, schwangen ihre Weihrauchfässer, dahinter liefen betende Mönche und Nonnen, die Gott laut um Regen baten und mit Geißeln stellvertretend für die Sünden der Stadt büßen wollten.
    Die Menschen schleppten sich mit geduckten Schultern und schweren Schritten in die kühlen Kirchen, hockten sich dort auf die Bänke und verschnauften im Angesicht des Herrn. Dann zündeten sie Kerzen an und murmelten matt Gebete. Die Pfarrer und Priester mahnten von den Kanzeln: «Wie im ersten Buch Mose, Kapitel acht, geschrieben: ‹Solange die Erde steht, soll nicht aufhören Saat und Ernte, Frost und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht.›» Nach der Kirche schleppten sich die Menschen wenig getröstet und mit einem verzweifelten Blick hinauf zum milchblauen Himmel die übelriechenden Gassen entlang in ihre Häuser, in denen sich die Hitze ebenfalls eingerichtet hatte wie ungebetener Besuch.
    Auch Hella Blettner litt. Sie saß im Lehnstuhl am offenen
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