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Hoellenfeuer

Hoellenfeuer

Titel: Hoellenfeuer
Autoren: Peter Conrad
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den Hinterausgang und betrat die Kieswege des Parks, die ihr mittlerweile so vertraut vorkamen, dass sie beinahe das Gefühl überkam, nach Hause gekommen zu sein.
    Der Park hatte sich verändert . Zahlreiche Bäume waren gefällt und abtransportiert worden, nachdem sie unter Samaels Angriff zu Schaden gekommen waren. Einige andere Patienten waren unterwegs, Eleanor sah auch einen Pfleger die Wege entlang gehen, doch von Raphael war weit und breit nichts zu sehen. Schließlich gelangte sie an den kleinen See, an dessen Ufer sie die Tabletten des Tetradyxol versteckt hatte. Und dort, an genau jener Stelle, wo Eleanor unter einer dünnen Erdschicht die verräterische Plastiktüte wusste, saß Raphael auf einem Baumstumpf und sah ihr entgegen.
    Eleanors Herz setzte einen Schlag aus. Raphael lächelte ihr zu und ihre Füße begannen stolpernd zu laufen, zu rennen und ihm entgegenzufliegen. Auch Raphael erhob sich und kam ihr entgegen. Eleanor fiel ihm in die Arme und eine Weile konnte keiner ein Wort sagen. Sie hielten sich nur gegenseitig eng umschlungen, als könne keiner der beiden glauben, den anderen tatsächlich in den Armen zu halten.
    „Was machst du hier?“, schluchzte Eleanor immer wieder fassungslos. „Was machst du hier? Warum bist du noch hier? Warum bist du nicht dort, wo du hingehörst?“
    Raphael nahm Eleanors Gesicht in seine Hände.
    „Ich bin doch da, wo ich hingehöre!“, sagte er. „Ich bin hier bei dir!“
    „Aber du könntest jetzt… verdammt, Raphael. Wieso bist du hier in der Hölle geblieben?“
    „Für dich würde ich in jeder Hölle bleiben, Eleanor. Aber für mich ist es keine Hölle mehr. Nicht, seitdem du hier bist!“
    Eleanor erstarrte. Sie sah ihn ungläubig an. „Du bleibst meinetwegen hier?“, flüsterte sie. „Nur meinetwegen?“
    Raphael nickte. „Wie kann das hier die Hölle sein, wenn du hier lebst?“, wiederholte er ernst.
    „Aber was ist mit der Liebe Gottes ? Der Möglichkeit, direkt bei ihm sein zu können? Wie kannst du das aufgeben?“
    „ Liebe kann man überall finden. Selbst in der finstersten Hölle, das weiß ich jetzt. Wir Engel haben das nur all die Jahrtausende über nicht zu sehen vermocht, weil wir uns nicht vorstellen konnten, einen Menschen zu lieben. Wir waren so verblendet in unserem Hass auf euch, dass uns die Idee nicht einmal gekommen ist. Erst du hast das geändert. Erst durch dich haben Engel wie Samael erkannt, dass Engel und Menschen sich in Körper und Seele unterscheiden mögen, doch in einem sind wir uns gleich – wir sind beide auf der Suche nach etwas, das wir nicht in uns selbst finden können. Aber im Unterschied zu euch Menschen hatten wir Engel unmittelbaren Kontakt mit Gott und wir kannten seine Liebe. Bei ihm zu sein erschien uns so erstrebenswert, dass wir nicht gesehen haben, dass Gottes Liebe in seiner ganzen Schöpfung steckt – auch im Menschen. Einige von uns haben das endlich begriffen.“
    „Bist du dir sicher, dass du das willst?“, hauchte Eleanor. „Wir Menschen haben auch eine finstere Seite. Gott zu lieben ist so viel leichter, weil er keine schlechten Eigenschaften hat. Mit einem Menschen hast du es nicht so einfach.“
    Raphael lachte. „Ich glaube, dass du Recht hattest, als du sagtest, dass Gott sehen will , wie wir uns entwickeln. Ich werde mir zumindest alle Mühe geben.“
    Eleanor knuffte ihn grinsend in die Brust.
    „Mach dich nicht über mich lustig“, schmollte sie.
    „Tue ich nicht. Würde ich nie wagen. Ich weiß nämlich auch, dass man kein Engel sein muss, um ein Teufel sein zu können.“
    Dann hob er grinsend ihr Kinn und küsste sie. Und wieder schien die Welt still zu stehen und Eleanor glaubte von einer Welle des Wohlgefühls davongespült zu werden. Sie schloss die Augen und wusste, wie sich der Himmel anfühlte.
     
    An diesem Nachmittag besuchten Eleanor und Raphael noch einmal das westliche Treppenhaus. Raphael hatte zuvor erzählt, wie er ihr Wiederauftauchen arrangiert hatte. Da ihre Erklärung nicht zu abenteuerlich ausfallen durfte, hatte er Eleanor kurzerhand in den Keller von Stratton Hall verfrachtet. Zuvor hatte er sie des Nachts vom Sinai nach Cornwall geflogen. Nachdem er sich entschlossen hatte, auf der Erde zu bleiben, war er voll Furcht um Eleanors Schicksal zu der kleinen Höhlenkirche zurückgeeilt. Zu seiner Erleichterung hatte keiner der Dämonen Eleanor auch nur angerührt. Ob es an Gabriels Worten gelegen hatte, oder sie einfach zu nah an der heiligen Kirche lag,
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