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Hoellenfeuer

Hoellenfeuer

Titel: Hoellenfeuer
Autoren: Peter Conrad
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Luft stehen und sah auf Eleanor hinab. Er sagte kein Wort, doch ein fasziniertes Lächeln glitt langsam über sein Gesicht.
    „Wer hätte gedacht, dass es gerade ein Mensch sein würde, der die gefallenen Engel wieder in Gottes Schoß zurückbringen würde? Der Herr ist wunderbar!“
    Gabriel sank tiefer, bis sein Gesicht unmittelbar vor dem Eleanors stehenblieb. Nur wenige Zentimeter trennten den riesigen Engel nun von ihr und voll Neugier betrachtete er ihre Züge. Dann sog er plötzlich die Luft ein, als nähme er ihren Geruch in sich auf wie ein Jagdhund. Eleanor spürte, wie Raphael sich neben ihr versteifte, sie selbst wagte kaum ihr Gesicht zu erheben. Gabriel hatte etwas an sich, was in ihr Furcht auslöste, doch sie hätte nicht zu sagen vermocht, was dies sein könne.
    „Hab keine Angst, Eleanor Menschenkind “, sprach Gabriel schließlich leise. „Dein Weg ist hier nicht zu Ende. Du hast etwas ins Rollen gebracht, das noch nicht zu seinem Ende gefunden hat.“
    Jetzt erst wagte Eleanor den Kopf zu heben und zu Gabriel emporzublicken. Sie sah ein Gesicht, das große Ähnlichkeit mit dem Samaels gehabt hätte, wenn Gabriel nicht diesen undefinierbaren Zug um den Mund gehabt hätte. Im einen Augenblick wirkte er fast höhnisch, dann wieder zutiefst ernst und heilig. In Gabriels Seele schliefen zwei Feinde, die sich unablässig bekriegten, einander umkreisten und sich nie aus den Augen ließen. Eleanor wusste mit dieser ersten Begegnung, dass Gabriel nicht zu trauen war. Tief in seinem Herzen verbarg er einen zweiten Teil seiner selbst, den er nur ungern zeigte und stets zu verbergen suchte. Sie war sich sicher, dass er seinen Herrn nie bewusst verraten würde und ihm stets ein treuer Diener war, doch in ihm steckte noch etwas anderes, etwas Düsteres und Gefährliches, dass hoffentlich nie zum Ausbruch käme. Ebenso wie seine Brüder wirkte auch er wie ein Raubtier, unberechenbar und zutiefst bedrohlich.
    Dann zog er sich so plötzlich von Eleanor zurück, dass sich die Luft wie mit einem Peitschenknall hinter ihm schloss. Er stand nun wieder in der Mitte der Schlucht in der Luft und befand sich erneut inmitten der Engel und Dämonen. Noch einmal sah er zu Eleanor hinüber und seinen Blick hätte man finster nennen können, doch Eleanor hätte nicht zu sagen gewusst, warum er sie auf diese Weise ansah. Dann wandte er seinen Blick von ihr ab und breitete nun die Arme in Richtung seiner Brüder aus.
    „Hört, Brüder “, rief er. „Der Herr hat mit Wohlwollen gesehen, dass einige von euch die Liebe zu anderen Lebewesen aus Gottes Schöpfung über die Liebe zu sich selbst gestellt haben. Sie taten es unter Einsatz ihres Lebens und obwohl sie damit Gottes vermeintliches Gebot übertraten!“
    „Gottes vermeintliches Gebot?“, schrie Asasel in die Stille hinein. „Was heißt hier vermeintlich? Er hat uns einen klaren Auftrag gegeben und den haben wir befolgt!“
    Gabriel wandte sich Asasel so schnell zu, dass Eleanor die Bewegung kaum wahrgenommen hatte.
    „Was hat Gott zu euch gesagt?“, fragte er zornig. „Er sagte zu Samael ‚Es wird dich und die Deinen geben! Ihr werdet die Seelen der Menschen in Versuchung führen und ihnen die dunkle Seite ihres Wesens zeigen!‘ Gott hat euch zu keinem Zeitpunkt einen Auftrag gegeben. Er sagte nicht ‚Ihr sollt die Menschen in Versuchung führen‘. Er sagte ‚Ihr werdet es tun‘. Er sah, dass ihr die Menschen nicht anerkennen wolltet und er verbannte euch auf die Erde, damit ihr dort zu eurem besseren Selbst bekehrt würdet. Er erlaubte euch jene Straße einzuschlagen, die ihr ohnehin begehen wolltet und er hielt euch nicht von dem Hass ab, den ihr in euch trugt. Ihr solltet von selbst erkennen, dass Hass in Elend endet und allein die Liebe euch wieder zu Gott führen kann!“
    Einen Augenblick lang herrschte völlige Stille in der Schlucht. Dann jedoch setzte unter den finster leuchtenden Dämonen urplötzlich ein solches Geschrei und Gebrüll ein, dass Eleanor sich die Ohren zuhalten musste. Die Leiber jener Dämonen wogten wie ein brennendes Meer auf den Felsen der Schlucht, sie streckte die Arme gen Himmel, schlugen mit den Flügeln und jammerten, schrien und weinten. Die Luft über ihnen flimmerte und vibrierte.
    Eleanor hielt vor Entsetzen die Luft an. Sie zitterte am ganzen Leib bei diesem Anblick und zugleich schossen ihr Tränen des Mitleids und der Furcht in die Augen. In diesem Augenblick war die Welle der Gefühle, welche von den gefallenen
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