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Hoellenfeuer

Hoellenfeuer

Titel: Hoellenfeuer
Autoren: Peter Conrad
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sehen sich lohnte...
    Niklas schloss die Haustür und betrat den kurzen Flur, der in die zwei kleinen Räume auf der rückwärtigen Seite des Hauses führte – von einem Augenblick zum anderen war Niklas plötzlich wach und jede Müdigkeit war von ihm abgefallen. Seit zwei Wochen schlief er nun in diesem zugigen und leer stehenden Haus. Es war eine kleine und schlecht gepflegte Handwerkerklause, die früher einmal einem Kesselflicker gehört zu haben schien, doch ihre Bewohner waren schon früh an der Pest zugrunde gegangen. In Zeiten wie diesen, in denen sich ganze Städte mit rasender Geschwindigkeit entvölkerten, störte sich niemand am kleinen Niklas oder den anderen obdachlosen Straßenkindern, die auf diese Weise zu einem halbwegs dichten Dach über dem Kopf kamen. Doch es war Vorsicht geboten – in vereinsamten Straßen und leeren Häusern konnte es schlimm enden, wenn man einem Erwachsenen mit bösen Absichten in die Hände fiel. Und einer Sache war Niklas sich von einem Augenblick auf den anderen völlig sicher – er war nicht allein in diesem Haus.
    Die Tür, die in die kleine Wohnstube führte, und die seinen Argwohn erregt hatte, war nur angelehnt. Er war sich sicher, dass er die Tür so nicht zurückgelassen hatte. Zudem fiel ein goldener Lichtstrahl durch den schmalen Türspalt und tauchte so auch Teile des Flurs in ein unnatürliches Zwielicht, welches den Jungen schaudern ließ.
    Langsam und lautlos bewegte Niklas sich rückwärts auf die Haustür zu, ohne den verräterischen Lichtschein vor sich aus den Augen zu lassen.
    „Hab keine Angst. Ich werde dir kein Leid zufügen!“, erklang eine sanfte Stimme hinter der Tür.
    N iklas schrie voll Angst auf, riss die Haustür auf und rannte hinaus auf die Straße. Wie von Furien gehetzt, lief und taumelte er durch die engen, leeren Gassen, die zu dieser Zeit längst in tiefe Dunkelheit getaucht waren.
    Er kam nicht weit, bis er, trotz seine r Furcht, ein erstes Mal stehenbleiben musste. Sein Körper war durch die Entbehrungen seines Lebens und die harte Arbeit zu ausgemergelt, als das er schnell und ausdauernd hätte laufen können.
    Schwer atmend stützte Niklas sich an der Wand eines Hauses ab, das in der Dunkelheit kaum zu erahnen war. Es dauerte eine Weile, bis sich das rasselnde Keuchen seiner Lungen soweit beruhigen ließ, dass er auch andere Geräusche in der Dunkelheit wahrnehmen konnte. Das Klappern von Töpfen in einem Haus in der Nähe. Das Schreien eines Säuglings und das Bellen eines Hundes in der Ferne. Doch da war noch etwas – ein kaum wahrnehmbares Geräusch, eher die Ahnung eines Lautes, der vom Ohr kaum erfasst werden kann und sich eher fühlen als beschreiben lässt. Was immer es sein mochte, es befand sich hier mit Niklas in dieser Gasse, gleich an seiner Seite, direkt neben ihm.
    Mit einem Wimmern setzte Niklas sich wieder in Bewegung. Er strauchelte, wankte und lief dennoch weiter. Nur weg von diesem Grauen, das sich nicht abschütteln ließ.
    „Niklas, warum fliehst du vor mir?“, kam die Stimme aus der Dunkelheit.
    Mit einem markerschütternden Schrei stolperte Niklas und schlug der Länge nach hin. Er rollte sich zusammen wie ein Neugeborenes und hielt die Arme sch ützend um den Kopf geschlungen.
    „Weil ich dich ni cht kenne!“, schluchzte er. „Lass mich, bitte lass mich...“
    Einen kurzen Augenblick lang herrschte Stille und Niklas meinte bereits, wieder allein zu sein.
    „Sieh her! Auf das du mich nicht länger fürchtest!“, sprach da die Stimme.
    Erneut am ganzen Körper zitternd vor Angst hob Niklas den Kopf und sah auf. Die kleine Gasse, in deren Schmutz und Unrat er lag, war auf einmal von Licht erfüllt. Ein blendender Schein strahlte bis in die letzten Winkel, ließ die umliegenden Mauern in einem goldenen Licht erstrahlen und tauchte die Welt in Frieden und Schönheit. Alles Leid und jede Furcht fielen von Niklas ab. Er atmete tief durch, vielleicht das erste Mal in seinem Leben, und war erfüllt von Ruhe und Kraft. Er bemerkte nicht einmal, wie er sich aufsetzte und sich vor das Licht kniete. Sehr langsam gewöhnten sich seine Augen an das strahlende Gleißen. Es war nicht gleichmäßig, sondern pulsierte und waberte vor ihm hin und her, änderte unablässig seine Intensität und Richtung, doch so sanft und friedlich, dass auch von diesen Bewegungen eine Ruhe und Harmonie ausging, die alles um sich herum zu erfüllen schien.
    Erst jetzt war Niklas in der Lage, in das Licht zu blicken. Und der Anblick,
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