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Hitzeflimmern

Hitzeflimmern

Titel: Hitzeflimmern
Autoren: Anthea Bischof
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Weinens. Es war so klassisch, es war so abgedroschen. Aber dennoch war es sein Leben. Karl rieb sich die Stirn. Wie erdrückend zu sehen, dass das eigene Leben ein Klischee war.
    Aber diesmal war etwas anders. Christelle fing sich. „Du kannst mit meinem Anwalt reden. Ich habe gehört, du hast dich mit Roland zusammen getan. Frag ihn, sollen die beiden was ausmachen“, sagte sie abweisend und das Gespräch war zu Ende.
    Karl lehnte sich im Sessel zurück, löste den Kopfhörer aus dem Ohr und blickte an die Decke seines Büros.
    Als wollte man durch eine Wand gehen, und nichts gab nach.
     
    Karl hatte vor Wochen seinen Bericht abgegeben, der die Leichtmetallfässer und -kanister als zu wenig stabil und für die Verwendung bei ihnen als ungeeignet erklärte. Er hatte es kurz gehalten, denn die Erinnerung an seinen desaströsen Aufenthalt am Symposium von MetalO gab keinen Anlass zur eingehenden Beschäftigung.
    Doch sagte er sich, er könne sich auf seine Einschätzung verlassen, denn bisher war er nicht falsch gelegen.
    CAi AG, für die er die Stelle in Kiew angenommen hatte, fertigte alle Arten von Industrieölen und Schmierfetten. Hier in Kiew versuchte das internationale Unternehmen einen neuen Standort aufzubauen. Sie mussten die Planung immer wieder überwerfen, weil die ukrainischen Bedingungen andere waren als in anderen Ländern. Eine fast undurchdringliche Solidarität herrschte zwischen den Spitzen der Behörden und den Wirtschaftsmagnaten. Die harten Krisen, in welche das Land seit dem Niedergang der Sowjetzeit gestürzt worden war, hatte eine Elite hervorgebracht, die zum einen den Ruf hatte, dem organisierten Verbrechen bedenklich nahe zu stehen und zum anderen Fremden stark zu misstrauen. Karl, der sich andernorts durch sein verbindliches Auftreten und seine eher kühle Höflichkeit hatte durchsetzen können, stiess hier immer wieder auf bedingungslosen Widerstand.
    Dennoch liess sich CAi AG nicht von seinen Zielen abbringen, denn die Fertigung und der Verkauf von Industrieölen in einem Land mit so reichen Eisenvorkommen war vielversprechend und wer wusste nicht, dass der Aufbau eines neuen Standortes in einem anderen Land eine harzige Sache war? Die Behälter für die Öle und Fette mussten je nach Einsatzgebiet gegen Hitze, Kälte, Druck und Einschläge resistent und hinsichtlich Preis und Platzanspruch gleichmässig bescheiden sein.
    Im Meeting vertrat Karl seinen Eindruck der schlechten Qualität von MetalO, indem er sowohl die Werbeunterlagen als auch seinen Bericht vorlegte. Anton der Fertigungsmanager hörte aufmerksam zu und pflichtete ihm bei, immerhin kenne er die Anforderungen wie kein anderer. Dann gingen sie zu den weiteren Diskussionspunkten über und Karl liess seinen Bericht und die Werbeunterlagen über das  Symposium von seiner Assistenz ablegen.
    „Anna, Sie können die Sachen kurz vor dem Abfall deponieren, ich werde mit höchster Wahrscheinlichkeit nicht mehr darauf zurückkommen“, sagte er.
    „Gut“, murmelte Anna, blieb aber vor seinem Schreibtisch stehen.
    „Ist noch etwas?“ fragte Karl erstaunt. Anna pflegte weder zu plaudern noch zu verweilen. Sie war um die fünfzig Jahre alt und eine unglaublich korrekte, solide Assistenz. Manchmal fragte er sich, weshalb sie keine interessantere Position hatte, doch derart persönliche Fragen waren zwischen ihnen nicht üblich.
    „Ihre Haushälterin hat angerufen“, meinte Anna mit gesenktem Blick. Da er es so vorzog, pflegten sie Englisch miteinander zu sprechen. Er war es so gewohnt und sie empfand es als wertvolle Übung.
    Er runzelte die Stirn. Wie kam die Gute auf die Idee, in seinem Büro anzurufen?
    „Sie sagt, sie sei seit einigen Wochen nicht mehr bezahlt worden“, sagte Anna so leise, dass er sie kaum verstand. Es schien ihr ausnehmend peinlich zu sein.
    „Vielen Dank, Anna“, sagte Karl. „Auch für Ihre Diskretion.“
    Sie nickte kurz und verliess das Büro, indem sie die Türe fast lautlos hinter sich zu zog.
    Die Zahlungen an die Haushälterin. Natürlich. Das hatte Christelle immer gemacht. Das war ihr Aufgabenfeld gewesen. Noch etwas, um das er sich nun kümmern musste.
    Zum ersten Mal in all den Jahren machte sich Karl bewusst, dass es eine ungemeine Entlastung war, sich auf einen anderen Menschen verlassen zu können. Dass es das eigene, einzelne Leben vereinfachte, wenn man sich nur um einen Teil zu kümmern hatte, und sich nicht vollumfänglich ganz zu versorgen. Die Haushälterin. Er wusste nicht
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