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Die keltische Schwester

Die keltische Schwester

Titel: Die keltische Schwester
Autoren: Andrea Schacht
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Anfangsknoten
    Lange Zeit dachte ich, alles, was mir widerfahren ist, sei von Bedeutung.
    Ich dachte auch, es habe erst nach meiner Begegnung mit dem Stein begonnen. Doch heute weiß ich es besser.
    Allerdings habe ich eine ganze Weile gebraucht, um überhaupt dahinterzukommen, was es mit dem Stein auf sich hatte. Wie blind irrte ich durch diese Welt, schwer trug ich an meiner Last. Nebel und Dunkelheit umgaben mich, mein Weg war rau und steinig. Er führte mich durch Schlamm und Moore, über schwankende Brücken, unter denen namenlose Abgründe drohten, durch reißende Furten und trügerische Strudel. Ich musste mich gegen eisige Winde stemmen und meinen Weg durch die dürren Wüsten eines verdorrten Landes suchen.
    Wie ein jeder, der sich auf die Suche macht.
    Und doch war der Weg nicht völlig trostlos. Tröstung fand ich und kurze Ruhepausen, Quellen taten sich auf an Stellen, wo sie nie zu erwarten waren, Sonne wärmte mich, wenn ich durchnässt und zitternd meine Last aufnahm, und der Anblick seltener Schönheit erquickte meine müden Augen, wenn der Weg zu steil schien und die Berge unüberwindlich. Ein Zweiglein voller Schneekristalle, ein beschneites Feld in blasser Wintersonne, eine stille Quelle im tiefen Dunkel des Waldes, die flammenden Wolken über dem Meer, die dunkle Höhle unter den Bergen und schließlich der junge Mond über dem Haupt meines Geliebten.
    Ich fand Hoffnung – wie alle.
    Ich fand auch mein Ziel. Denn – und auch das lernte ich viel, viel später – ich hatte einen Führer. Ich hatte jemanden, der diesen Weg bereits gegangen war und dem daran lag, dass auch ich ihn ging. Auch wenn ich mich anfangs wehrte und weigerte.
    Vielleicht kommt nicht jeder an das Ziel, doch in jedem von uns steckt die Sehnsucht. Die Sehnsucht nach dieser einen Anderen Welt, der
Autre Monde
, in der immerwährender Friede und Schönheit herrschen, wo Speise und Trank nie versiegen, wo man frei von Trauer und Gram, Kummer und Leid, Krankheit und Schmerzen lebt und teilhat an den tiefsten Weisheiten.
    Ich zitiere hier sinngemäß einen alten Barden. Er hatte recht – in gewisser Weise.
    Denn es gibt auch andere Welten, die weniger freundlich sind.
    Vor langen Zeiten, in älteren Kulturen, gab es Frauen und Männer, deren Aufgabe es war, den Weg in jenes Land zu beschreiten, aus dem die Dichter ihre Inspiration, die Sänger ihre Lieder, die Künstler ihre Visionen holten. Menschen, die das Wissen um die Gefahren und Hindernisse auf dem Weg dorthin hatten und die Macht, sie zu bewältigen.
    Heute sind wir alleine gelassen, und wer sich auf die Reise macht, wird oft von den Schrecknissen überwältigt.
    Aber die Sehnsucht bleibt.
    Doch geht man den beschwerlichen Weg, ist der Gewinn umso größer. Denn niemand wandert in der
Autre Monde
und kommt unverändert zurück. So warnte mich einer, der es wissen musste.
    Kurz, ich wurde auf den Weg dorthin gebracht. Dorthin gezerrt, wie Teresa es ausdrückte.
    Und das, was ich fand, zeigte mir nur, dass meine Geschichte älter ist, viel älter ist, als ich glaubte. Älter als Danu, meine hilfreiche ältere Schwester, die mich lehrte, was es bedeutet, einOpfer zu bringen. Älter als die Menschen, die den Stein so mühevoll errichteten. Älter als die Gattung der Säugetiere, deren erste Vertreter die Mäuse waren.
    Sie ist so alt wie die Erde.
    So alltäglich wie sie – natürlich.
    Und so albern – manchmal.
    Wie alles – natürlich.

    Dem Stein übrigens, dem Menhir dort an der lieblich-rauen Küste am Ende der Welt, dem war das alles ziemlich gleichgültig.

1. Faden, 1. Knoten
    »Meine Herren, ich freue mich, Sie heute zu diesem Seminar begrüßen zu können, und hoffe …«
    Welch ein Aufstieg in die Herrenrasse! Es mochte vielleicht dem Seminarleiter, der sich als ein Herr Müller vorgestellt hatte, auf den ersten Blick entgangen sein, dass in der Runde der knapp zwanzig Herren auch eine Dame saß. Aber, na ja, wir waren ja gerade erst bei den einleitenden Worten dieser Unterweisung.
    »… werden wir nach dem theoretischen Teil natürlich sofort in die praktische Anwendung einsteigen. Dazu haben wir im Nebenraum Bildschirme aufgestellt, an denen Sie, meine Herren, dann in kleinen Gruppen …«
    Schön, auch aus der Teilnehmerliste war vermutlich nicht zu erkennen, dass sich auch eine Frau zu dem Seminar über Netzplan-Technik angemeldet hatte. Ich unterschreibe nun mal mit A. Farmunt, denn Amalindis ist ein Name, der mir, milde gesagt, Übelkeit verursacht.
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